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                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 68

Bernhard Kytzler

Horaz im Gespräch -
Ein Interview mit einem Einzigartigen

Teil 3: Zur Philosophie

Die Antworten erteilte Quintus Horatius Flaccus, Romanus, im fruhen 8. Jahrhundert der STADT.
Die Fragen stellte Bernhard Kytzler, Silesius, im frühen 21. Jahrhundert nach CHRISTUS.

Wann und wie haben Sie zur Philosophie gefunden?

Mein Vater, der beste von allen, hat mich daran gewöhnt, dass ich die Laster meide, indem er sie alle an Beispielen deutlich werden ließ. [sat. 1, 4, 105f.]

An Beispielen?

Wie der Tod eines Nachbarn den kranken Geizhals entsetzt and ihn zwingt, sich zu schonen, so schreckt fremder Schimpf ein zartes Gemüt oft ab von den Lastern. [sat. 1, 4, 1]

Wurde das im einzelnen erklärt? Begründet?

Die Gründe dafür, was besser zu meiden, was anzustreben ist, werden schon später die Philosophen erklären; es reicht, zunächst die überlieferte Gesittung zu bewahren und dem Kinde, solange es eines Schützers bedarf, das Dasein und den guten Ruf zu erhalten. Wenn erst das Leben dem Erwachsenen Glieder and Geist gefestigt hat, dann wird er auch ohne Kork schwimmen. [sat. 1, 4, 116-120]

Hat die Philosophie dieses Versprechen eingelöst?

In Athen habe ich im Hain des Heros Akademos nach Wahrheit gesucht; ich wollte das Rechte vom Schlechten scheiden lernen. [epist. 2, 2, 44f.]

Und wie hat Sie diese Erziehung Ihres Herrn Vaters beeinflusst?

Durch seine Erziehung blieb ich unberührt von allem, was ins Verderben führt; ich weiss mich nur mit unbedeutenden Fehlern behaftet, die leicht Verzeihung finden. Und vielleicht hat mir auch von diesen sei es die Länge der Zeit noch manches abgenommen, sei es ein Freund voller Freimut, oder auch meine eigene Überlegung.     [sat. 1, 4, 129-133]

Und diese frühe geistige Grundlegung hat Sie auch später durch Ihr Leben begleitet?

Selbst dann, wenn ich im Bette ruhe, oder wenn ich in einer Säulenhalle umherspaziere, lasse ich es nicht daran fehlen:
„So zu tun, das ist das Richtige!“
„Nur wenn ich dieses mache, dann erst führe ich wirklich ein besseres Leben!“
„So könnte ich meinen Freunden liebenswürdiger begegnen!“
„Also, das hat der da gar nicht schön gemacht! Ob ich etwa unbedacht einstens gar ihm ähnlich handeln werde?“
Solche Gespräche führe ich bei mir, doch halte ich dabei die Lippen geschlossen. Und kommt dann ein freier Augenblick, bringe ich sie zu Papier. [sat. 1, 4, 133-139]

Wir hören Ihrem inneren Monolog mit größtem Interesse zu. Und knüpfen unsere nächste Frage daran: Ist es also Ihrer Meinung nach wichtig, beharrlich bei seinen Vorsätzen zu bleiben?

Den gerechten und beharrlich seinen Vorsatz haltenden Mann kann weder die Wut der Bürger, die Böses befehlen, noch der Blick des drohenden Tyrannen in seinem festen Sinne erschüttern; auch nicht der Südsturm, der wirbelreiche Gebieter der ruhelosen Adria, noch die gewaltige Hand des blitzeschleudernden Jupiter! Selbst wenn zerborsten zusammenbricht das Weltall - die Trümmer werden einen Furchtlosen treffen!
[carm. 3, 3, 1-8]

Wie Sie uns zeigen, sind Sie der Ethik stark zugewandt. Haben Sie Ihren Blick auch auf andere Themen der Philosophie gerichtet? Auf die Ontologie? Auf die Logik?

Ein Autor, der vor genau einhundert Jahren dahinging - muss der unter die perfekten alten Poeten gezählt werden? Oder unter die wertlosen Neuen? Ein genauer Termin soll jeden Streit vermeiden. Also, Sie sagen: „Wer hundert Jahre hinter sich hat, der ist alt. Und damit verdient er Ansehen!“ Und jemand, frage ich, der einen Monat oder meinetwegen auch ein Jahr später dahinschied, wohin ist der zu zählen? Zu den alten Dichtern? Oder zu jenen, die Umwelt wie Nachwelt verwerfen? „Mit Fug and Recht kann zu den Alten auch zählen, wer einen kurzen Monat nur, selbst wer auch ein volles Jahr weniger zählt.“ [epist. 2, 1, 35-44]

Ich sehe schon, Sie möchten uns den Fangschluss 'Sorites' demonstrieren und so die Logik einbeschliessen!

Gewiss, ich mache jetzt von dieser Konzession Gebrauch: Wie die Haare von einem Pferdeschwanz, so nehme ich nach und nach ein Jahr ihm fort und noch eines, bis jeder, der sich auf den Kalender verlässt und Leistung nach Jahren bemisst, in die Knie bricht, vom Argument des schwindenden Kornhaufens widerlegt. [ibid.]

Kehren wir nach unserem Ausflug in die Logik nochmals zur Ethik zurück. Das Denken unseres Kontinents hat über lange Jahrhunderte hinweg das Konzept der SIEBEN TODSÜNDEN entwickelt und sie im deutschsprachigen Merkvers STO GEI NEI UN UN ZO TRÄ kondensiert. Was sagen Sie dazu?

Gewiss doch, genau so: Avaritia, laudis amor, invidus, iracundus, iners, vinosus, amator; nemo adeo ferus est ut non mitescere potest.      
[epist. 1, 1, 33-38]

Dafür sagen wir: Stolz, Geiz, Neid, Unmässigkeit, Unzucht, Zorn, Trägheit!

Und: Niemand ist so verwildert, dass er nicht doch milder gestimmt werden konnte.        [epist. 1, 1, 39]

Wie sollte das vor sich gehen?

Anfang der Tugend ist es, das Laster zu fliehen, Anfang der Weisheit, der Torheit zu entsagen.  [epist. 1, 1, 41f.]

Also meinen Sie, die Weisheit ist das höchste Gut?

Der Weise ist geringer einzig als Jupiter - er ist reich, frei, geehrt, schön, König sogar über alle Könige, vor allem auch gesund - falls ihn nicht gerade ein Schnupfen plagt.  [epist. 1, 1, 106-108]

Mögen Sie gesund bleiben! Wir danken Ihnen fur dieses Gespräch!

 

Prof. Dr. Bernhard Kytzler
Durban, Südafrika