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                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/2+3 (2006), 62

Michael Wenzel

Beziehungskisten und Bettgeschichten -
Sexualität bei Martial in der Oberstufe


Wie Rom die Verse seines Dichters doch allenthalben lobe, liebe, zitiere und von Mund zu Mund trage(1), streicht Martial des öfteren heraus, wobei unklar bleibt, ob das dem Wunsch oder der Wirklichkeit entspricht, oder schlichtweg eine Möglichkeit bietet, selbst kräftig die eigene Werbetrommel zu rühren. Aber unbestritten ist: Besonders die Einzeldistichen(2) und kürzeren Epigramme laden gleichsam ein, sich weitererzählen zu lassen. Eine kleine schräge Szenerie, eine Handvoll pointierter Worte, diese oder jene Stilfigur und ein hämischer Hieb am Ende - ein Merkvers erster Güte ist geboren, in einer Leichtigkeit hingeworfen, wie sie nur wenigen Sprachkünstlern zu eigen ist. Wenn noch ein befreiendes Lachen den Leser bzw. Hörer entlässt, will dieser den Vers gleich dem Nächstbesten weitergeben. Und schon ist ein Gedicht auf Wanderschaft.(3)

Dies gilt vor allem für Epigramme, die das Thema Sexualität witzig und pointiert darbieten, - war und ist sie doch schon immer im Spannungsfeld von Lust und Liebe, Trieb und Moral, Heimlichkeit und Entlarvung, Phantasie und Realität angesiedelt. In diese Spannung sieht sich auch der Jugendliche oder junge Erwachsene, trotz heutiger Liberalität und Freizügigkeit, in seiner sexuellen Entwicklung gestellt. Das Lachen über Geschick und Missgeschick anderer im Bereich der Erotik, das Martial so treffsicher sucht, befreit somit von Spannung und Verletzlichkeit und bietet eine gewisse Bestätigung dafür, dass die eigenen Sehnsüchte und Ängste ihre Berechtigung besitzen.

Zum anderen stellt jemand, der in frecher und treffsicherer Weise anderen den Spiegel von Prüderie oder sexuellem Größenwahn vorhält, der provokant Grenzen in der Sinnlichkeit auslotet und weder tabuisiert noch vordergründig idealisiert, der Dinge beim Namen nennt und den Moralismus sich selbst entlarven lässt, geradezu ein Vorbild für einen Jugendlichen dar. Er würde gern ein Stück von dieser Leichtigkeit besitzen.

Letztendlich sind Sexualität und Erotik nicht nur im einzelnen Menschen selbst verhaftet, sondern spiegeln jeweils in ihren Formen und Spielarten ein Stück Kultur- und Sittengeschichte wider. Sie sind weitgehend vom Zeitgeist, vom jeweiligen Freiheitsbegriff und dem Verhältnis zu Religion, Moral und Körper abhängig. Hiervon einiges zu erfahren, ist für den Schüler der Oberstufe an sich schon lohnenswert und interessant.(4)


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Zur Interpretation und didaktischen Umsetzung dreier Gedichte


Die böse Zunge - Epigramm II 80

Unter diesen Aspekten ist das Epigramm III 80 zu betrachten, das bisher in Fachwissenschaft und Didaktik kaum Deutung gefunden hat.(5)

 De nullo loqueris, nulli maledicis, Apici:
    rumor ait linguae te tamen esse malae.

Über keinen redest du, machst keinen schlecht, Apicius:
  ein Gerücht sagt, du habest dennoch eine schlimme Zunge.

 

Werkinterpretation(6)

Der Hexameter zerfällt in zwei Kola (Aussagesätze), die quasi Sinnwiederholungen bieten. Das verstärkt sich durch den Parallelismus, die beiden Spondeen nullo - nulli mit betontem Wortschluss, wobei fast Reimform (Inreim) entsteht. Durch die Verdopplung beider Aussagen wird als unzweifelhafte Tatsache festgehalten: Apicius(7) (am Ende wie in einer Laudatio namentlich herausgehoben) ist niemand, der über andre schlecht spricht, es gibt für ihn keine Ausnahme (nullus-Formen als engste negative Mengenangabe). Das steht außer Zweifel. Gegenüber Apicius ist damit ein starker emotionaler Vorschub aufgebaut; Martial und mit ihm der Leser sind für ihn eingenommen, er ist geradezu ein Vorbild, ein Muster zwischenmenschlichen Verhaltens.(8)

Rumor ait (das dritte Verb des Sprechens) speist ein anderes Signal ein. Der versierte Martial-Leser weiß: ein Gerücht hat über den, den es betrifft, noch nie etwas Gutes verlauten lassen, sonst wäre es keines. Durch die vorhergehende starke Sympathiebekundung für Apicius erhält aber der weitere Inhalt von rumor ait unbedingtenWahrhaftigkeits- und Glaubwürdigkeitscharakter. Somit wird Spannung auf den Inhalt erzeugt. Linguae, vom Kasus her noch unbestimmt, gibt dem Leser das (falsche) Signal, es gehe weiterhin um das Sprechen über andere.

Te bestätigt, dass weiterhin das angesprochene Du im Mittelpunkt steht, und eröffnet zugleich einen AcI. Tamen verstärkt te durch Alliteration, signalisiert aber zum zweiten Mal einen sich aufbauenden Gegensatz zum Hexameter und ruft Irritation beim Leser hervor. Er stellt sich die Frage: Wie ist das nun mit dem Reden des Apicius?


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Esse schließt den AcI (Tatsache), bestimmt jetzt rückwirkend linguae als Genitivus qualitatis, der bisher noch leer ist und eine nähere Attribuierung verlangt. Das (un)erwartete malae wird mit linguae (Mittelreim) zuerst als bösartige Sprache gedeutet, was aber wieder Irritationen hervorruft, steht doch diese Aussage im Widerspruch zu der vorherigen doppelten Behauptung. Der Leser geht also noch einmal zum Anfang, um die Richtigkeit der Informationen zu überprüfen, findet sich jedoch bestätigt. Es ist ausgeschlossen, dass Apicius etwas Schlimmes über andere Personen sagt. Auch flucht er nicht oder stößt gotteslästerliche Bemerkungen aus. Also muss ein Bedeutungswandel von linguae malae(9)vorgenommen werden.

Die (vielleicht) aus dem Hexameter erwartete Überhöhung kippt nun um so stärker in Hohn und Spott für Apicius um(10), der seine sexuelle Befriedigung nur noch in oralen Praktiken(11) finden kann. Die Reinheit seiner Sprache in Bezug auf andere findet so eine witzige Antipode in der Unreinheit der Zunge, die er durch seine Sexualpraktiken erhält. Wie Apicius den Leser zuerst auf seiner Seite hatte, hat er nun den Spötter gegen sich. Durch Reimformen, Alliteration, Homoioteleuton, alliterative i-Häufung am Ende des Hexamters, den Bedeutungswandel etc. prägt sich das Distichon gut ein und erhält den Charakter eines Merkverses.

 

Didaktische Umsetzung(12)

Die Schüler erhalten nicht vorab den Text, denn das Epigramm soll stückweise an der Tafel entstehen. Die Lehrkraft erarbeitet mit der Klasse die beiden parallelen Aussagen im Hexameter, geht auf die verschiedenen Verstärkungen (Verdopplung, Reimform, Engführung auf Apicius) ein. Da Apicius über niemanden etwas Schlechtes sagt, entsteht der Eindruck eines untadeligen Menschen. In diese Falle läuft der Leser geradewegs. Das soll dem Schüler weiterhin aufgezeigt werden.

Der Lehrer schreibt einen Teil des Pentameters an: rumor ait linguae te … esse … Es wird mit der Klasse die Bedeutung rumor erarbeitet, linguae als Genitivus qualitatis identifiziert. Bei der Übersetzung bemerken die Schüler, dass linguae (das weiterhin als Sprache übersetzt wird) eine nähere Bestimmung verlangt (Leerform). Auf rumor ait wird nicht näher eingegangen. Nun sagt der Lehrer: Wir suchen ein passendes Attribut (Adjektiv) zu der linguae unseres Apicius. Die Schüler rufen zu, manches kann vom Lehrer zurückgewiesen werden (z.B. „ehrlich“).


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Es findet sich bald das Adjektiv „rein“. Der Lehrer sagt: Ja, das stimmt, - schreibt aber statt purae ein unerwartetes malae = impurae an das Ende des Pentameters. Die Schüler sind anfangs perplex. Der Lehrer sagt: Unser Martial wäre doch kein Spötter, wenn er jemanden ein ganzes Distichon lang über den grünen Klee lobt. Ihm mit dem letzten Wort einen Hieb zu verpassen ist lustiger. Der Lehrer setzt noch tamen in die freie Stelle ein, liest den Pentameter vor.
Er fragt: Was meint Martial mit linguae malae? Die Schülerantworten zielen zuerst auf Verbalerotik ab. Der Lehrer sagt: Könnte stimmen, ist aber nicht unbedingt anrüchig, da müsste Martial erst einmal bei sich aufräumen. Die Schüler kommen dann schnell darauf, dass Apicius ein Mann mit einer schlimmen, verdorbenen, lasterhaften Zunge ist, es also um bestimmte Sexualpraktiken geht.

Der Lehrer gibt die Information(13), dass im sonst sehr liberalen Rom der Kaiserzeit bestimmte Vorlieben (z.B. Frauenkleider bei Männern, Schminken, Frauenschmuck), gewisse Modeerscheinungen (z.B. Beschneidung, Intimrasur) und Sexualpraktiken, vor allem in homosexuellen Beziehungen, als unmännlich und devot angesehen wurden. Manche Verhaltensweisen waren mit der Vorstellung von einem römischen Mann unvereinbar. Martial moralisiert wohl nicht platt diese Erscheinungsformen, verfolgt aber moralsatirische Tendenzen, zumindest hat er für solche Männer nur Spott übrig. Er stellt sie als Karikaturen eines Lebens dar, das den Stolz und das Selbstbewusstsein auf die eigene männliche Leistung in Beruf, Politik und Gesellschaft vergessen hat.

Nach der Information und dem Gespräch mit den Schülern sagt der Lehrer: Der Dichter hat uns über Apicius schön hereingelegt. Was war der anfangs doch ein untadeliger Mann. Eigentlich bis fast zum Schluss, obwohl - Vorwarnungen hat Martial uns gegeben. Die Schüler nennen tamen, auf rumor ait muss der Lehrer meist selbst hinweisen, Erklärungen geben. Den Schülern fällt vielleicht auch male(dicis) und malae auf, ein doppelsinniges Wortspiel.

Am Ende der Interpretation kann der Lehrer auf bestimmte Effekte in der Wahrnehmungspsychologie verweisen (z.B. hier den Halo-Effekt). Eine hervorstechende positive Eigenschaft „überstrahlt“ gleichsam eine ganze Person. Man kommt als Betrachter/Hörer/Leser nicht mehr auf die Idee, andere konträre oder gar negative Eigenschaften zu vermuten, sondern attribuiert nach der ersten Eigenschaft weiter. Diesen Effekt hat sich Martial zu Nutze gemacht.

 

Ehebruchsverbot - Epigramm VI 91

In VI 91 findet sich eine interessante Verknüpfung von religiöser, staatlicher bzw. gesetzlicher und sexueller Ebene. Gerade diese überraschenden und witzigen Wechsel der Inhalte und Gattungen machen das Epigramm für die Fachdidaktik reizvoll und lohnend.(14)

Sancta ducis summi prohibet censura vetatque
   moechari. gaude, Zoile, non futuis.

Die ehrwürdige Verordnung des allerhöchsten Fürsten untersagt und verbietet,
   die Ehe zu brechen. Freu` dich, Zoilus, vögeln tust du ja nicht!(15)


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Werkinterpretation

Sancta eröffnet den Hexameter und impliziert eine religiöse und damit unantastbare und erhabene Ebene, die kaum von einem Menschen her rühren kann. Dabei bleibt die grammatikalische Funktion noch unbestimmt. Somit wird Spannung aufgebaut.(16) Die Genitivbestimmung ducis summi (Domitian) wird (un)bewusst an sancta angeschlossen und die Person damit quasi in den Rang eines Gottes erhoben. Dies verstärkt sich noch durch die umrahmenden Zäsuren. Die Vorstellungen des Lesers zielen auf ein panegyrisches Distichon ab, in dem sich menschliche und göttliche Bereiche überlagern.

Mit prohibet wird ein Verbotscharakter eingebracht. Das folgende censura wird als Subjekt identifiziert und mit sancta verbunden, die Verordnung tritt gleichsam als handelnde Person auf. Das abschließende vetatque wird mit prohibet zusammengeführt und bildet durch das Hendiadyoin ein absolutes Verbot, an das sich jeder in jeder Situation halten muss. Es duldet keine Ausnahme.(17)

Die Spannung des Lesers fokussiert sich auf den Inhalt des Verbotes, das im Pentameter jetzt genannt werden muss. Moechari, durch einen Choriambus hymnusartig hervorgehoben, löst die Spannung und setzt beim (moralisch integeren) Leser Befriedigung frei. Endlich ein Herrscher, der dem sittenlosen Treiben ein Ende setzt. „Die Erneuerung der augusteischen lex Iulia de adulteriis coercendis(18) durch Domitian in seiner Funktion als censor perpetuus“(19) (siehe auch VI 4; VI 6; VI 7 u.ö.) hebt Domitian in den Rang eines sittenstrengen Herrschers, der die alte Moral wiederherzustellen bemüht ist. Das nachfolgende gaude, an exponierter Stelle vor der Versfuge, erweckt den Eindruck, als ob der Leser aufgerufen wird, positive Gefühle gegenüber Domitian und seinen Bestrebungen zu entwickeln.

Die direkte Nennung des Befehlsempfängers Zoile löst diese Vorstellung auf. Zoilus(20) ist ein ehemaliger Sklave, der sich zum Ritter hoch gedient hat und den Martial mehrmals als hässlich, kriecherisch, geschmacklos und neureich beschreibt. Der versierte Martial-Leser freut sich schon im Voraus, wie die panegyrische und gesetzgebende Ebene mit der widerwärtigen Figur des Zoilus verknüpft werden kann, wozu dem Dichter noch vier Silben bleiben. Das betonte Monosyllabon non verblüfft, meint es doch zunächst, dass Zoilus nicht gegen das Verbot handelt. Erst futuis(21)bringt dann die Pointe. Zoilus, der sowieso nicht die Ehe brechen kann (Impotenzmotiv) oder gar nicht will (Fellatiomotiv), wird voller Häme eine ganz eigene Freude über die Erneuerung des Ehegesetzes untergeschoben.


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Didaktische Umsetzung(22)

Auch bei diesem Distichon ist es aufgrund der textimmanenten Spannung, der verschiedenen Inhaltsebenen und aufgrund des hohen Erklärungsbedarfs einzelner Begriffe wichtig, dass den Schülern der Text vorab nicht zur Verfügung steht, sondern sich stückweise an der Tafel entwickelt.

Mit sancta … censura eröffnet die Lehrkraft das Distichon. Es wird die religiöse und gesetzgebende Komponente herausgehoben, die als absolut und unverbrüchlich zu sehen ist. Eine erste Übersetzung wird an der Tafel beigefügt. Dann fragt der Lehrer, was wir als Leser nun wissen möchten. Antworten, die auf den Inhalt der Verordnung hin abzielen, müssen noch zurückgestellt werden. Die Schüler antworten, es sei interessant zu wissen, wer so viel Macht in den Händen hält. Der Lehrer fragt zurück und erhält den Namen des Kaisers Domitian.(23) Der Lehrer fügt ducis summi hinzu, erweitert die Übersetzung. Der Lehrer sagt: Unsere Verordnung tritt gleichsam als Person auf, sie kann also handeln. Was tut eine Verordnung denn? Die Schüler erkennen bald, dass sie gebieten oder verbieten kann. Der Lehrer schreibt prohibet … vetatque in die verbleibenden Leerstellen, die Schüler übersetzen. Die Schüler deuten das Hendiadyoin als unumstößliches Verbot, das keine Ausnahme duldet. Nun fordern die Schüler von selbst, dass der Inhalt des Verbots endlich genannt werden soll.(24)

Der Lehrer setzt moechari an den Anfang des Pentameters, betont beim Lesen gewichtig die Längen, fügt die Übersetzung bei. Es folgt eine kurze Erklärung über die lex Iulia de adulteriis coercendis(25) und ihre Zielsetzung. Der Lehrer fragt (mit ironischem Unterton) weiter: Welche Gefühle hat denn dieses Gesetz bei moralisch anständigen Menschen ausgelöst? Die Schüler nennen Zustimmung, Bejahung, Freude etc. Der Lehrer setzt gaude ein, betont beim Lesen übertrieben. Die Schüler sehen sich bestätigt, wobei vielleicht die Meldung auftaucht, dass eigentlich an dieser Stelle gaudete stehen müsste.

Der Lehrer fährt fort: Martial hat sich einen ganz speziellen Freund als Empfänger für das Ehebruchverbot heraus gepickt. Er schreibt Zoile an die Tafel. Es wäre gut, wenn der Name schon bei der Lektüre eines anderen Epigramms aufgetaucht wäre, nötigenfalls gibt der Lehrer einige Erklärungen (siehe Werkinterpretation). Es wird wohl von den Schülern selbst die Frage laut, worüber sich dieser Zoilus bei der lex Iulia nun freuen sollte. Die Schüler spüren, dass die beschriebene Figur geradezu diametral zu dem Inhalt des Gesetzes steht. Der Lehrer schreibt non futuis an das Ende des Pentameters, gibt nötigenfalls die Übersetzung an. Die Schüler lachen. Der Lehrer fragt nach. Es wird schnell klar, dass hier eine Brechung zu dem Inhalt der lex Iulia vorliegt, also Zoilus nicht ein sittenstrenger Befürworter ist, aber auch nicht zur direkten Zielgruppe des Gesetzes gerechnet werden darf.


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Es bleibt also nur die Möglichkeit, dass Zoilus ganz bestimmte Sexualpraktiken bevorzugt, die ihn in den Augen Martials in unmännlicher Weise der Lächerlichkeit preisgeben. Wie Zoilus, trotz seiner steilen Karriere, seine sklavische Natur in Aussehen und Wesen beibehält, so kann er auch nicht von seinen niedrigen sexuellen Vorlieben lassen.

 

Ackerverkauf – Epigramm XII 16

Die Qualität eines Witzes und seine Pointierung ergeben sich oft aus dem Wechselspiel zwischen den geringfügigen Veränderungen und den stereotypen Wiederholungsteilen und redundanten Elementen. Auf diese Weise verfährt Martial in XII 16:(26)

Addixti, Labiene, tres agellos.        Verkauft hast du, Labienus, drei Äckerchen.
Emisti, Labiene, tres cinaedos.      Gekauft hast du, Labienus, drei Schwuchteln.
Pedicas, Labiene, tres agellos.       Du vögelst, Labienus, drei Äckerchen.

 

Werkinterpretation

Mit addixti eröffnet Martial das Tristichon. Durch das jeweils am Zeilenanfang stehende Verb setzt er ein Signal: Handlungen bestimmen weitgehend das Epigramm. Das erhabene Metrum des Molossers stellt fest, ist also konstatierend und zugleich weiter schreitend. Labiene(27) schließt eng an addixti an. Das Du konkretisiert sich im Namen, der sexuell konnotiert ist.(28)

Addixti Labiene stellt die Themen vor, die das Epigramm prägen: Besitz und Sexualität. Die frühe Angabe weckt Erwartungen, wie die Thematik witzig verknüpft und zur Pointe gebracht wird. Ein Mensch, der seinen Lüsten ausgeliefert ist, kann nur dumm und triebgesteuert handeln (verkaufen), hat also Hohn und Spott verdient.

Tres wirkt bedeutend und lässt innehalten.(29) Da seine syntaktische Verbindung unbestimmt ist, schafft es Spannung auf die nähere Objektbestimmung, die wohl an Dinge gebunden ist. Mit agellos kehrt Martial zum ersten Thema zurück und schließt eine erste Sinneinheit.(30) Agellos ist eine charmante, ironische Metapher, die durch die Symbolik von Fruchtbarkeit (weiblich) und lohnendem Ertrag besetzt ist. Diese Symbolik veräußert Labienus gleichsam, um einen Gegenwert an Geld zu erhalten.(31) Tres hat hier die Bedeutung einer einfachen Rundzahl, die eine erste Vollendung beinhaltet.(32)


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Emisti nimmt das Verb addixti thematisch auf und führt es fort: vom Erlös des Verkaufs kauft Labienus ein. Das Geld wird gleichsam in einen Kauf gesteckt, gleitet hinüber.(33) Der Leser erwartet durch den Deminutiv agellos (kleiner Wert) und die sexuelle Besetzung des Namens ein witziges, aber auch dummes Objekt. Labiene hat hier konstatierende und retardierende Funktion. Tres(34) verstärkt die Erwartung auf Objekte von geringem Wert. Für drei Äckerchen kann er nur drei Dinge erwerben, die qualitativ einen Abstieg bedeuten.(35) Das Thema Verkaufen und Kaufen geht mit cinaedos zum Thema Sexualität (Analerotik) über. Labienus steckt sein Geld für die drei Äckerchen in „drei Ärsche“.(36) Er demaskiert sich somit in seiner Dummheit und Geilheit, ist er doch der Meinung, durch die gleiche Anzahl auch den gleichen Wert eingehandelt zu haben.(37)
Pedicas(38)nimmt nun gleich die Handlung auf, die Labienus an den Kinäden vollzieht und stellt zugleich fest. Von den drei Handlungen ist die dritte als die endgültige anzusehen. Martial beschreibt sie ironisch-sarkastisch als quantitativen wie qualitativen Schlusspunkt einer Handlungsreihe, die die höchste Vollendung erreicht.(39) Das Präsens drückt eine Handlung aus, die bis in die Gegenwart des Lesers reicht. Somit wird die Handlung zur allgemeingültigen Behauptung. Mit der dritten Wiederholung von Labiene tres wird die einfache Nennung, der Normalbegriff, auf die höchste Potenz erhoben und abgeschlossen (statische Funktion).(40) Zugleich wird Spannung erzeugt, wie das Epigramm mit dem letzten Wort in die Pointe einmünden darf (dynamische Funktion). Der Leser wird gleichsam durch die vertrauten Worte zum Endpunkt geführt.(41) Diesem zweiten „agellos“ werden die Merkmale der „cinaedos“ zugeschriebenDie Metonymie(42) ermöglicht es Martial, die Pointe mehrdeutig zu gestalten.

Zum ersten kann er Elemente aus der logischen Ableitung (besonders aus dem Syllogismusbereich) parodieren. Das Poem kann als zwei Handlungen (Prämissen) gesehen werden, aus denen sich die dritte Handlung folgerichtig ableitet (conclusio). Hierher gehören auch das Überspringen eines Satzteiles und die Wiederholungen an den gleichen Satzpositionen, um so (angeblich) logische Stringenz zu schaffen.(43)

Zugleich ironisiert Martial mit pedicas … tres agellos die Funktion eines Euphemismus.(44) Gerade durch die Unvorstellbarkeit der Handlung und das Nichtgesagte drängt sich beim Leser die Vorstellung auf, wie Labienus auf seinen Äckerchen liegt und diese zu pedikieren sucht. Agellos wandelt sich von charmanter Ironie zu Hohn, die Figur des Labienus wird disqualifiziert. Schließlich stellt pedicas, Labiene, tres agellos eine ironische Anrede an die handelnde Person dar:(45) „So sehr liebst du, Labienus, deine Äckerchen, dass du sie (für deine Geilheit) verkaufst.“ Zugleich hört man auch den süffisanten Unterton: „So sehr liebst du, Labienus, deine Äckerchen, dass du aber auch nicht von ihnen lassen kannst.“ So kehrt Labienus, egal was er tut, immer wieder zu seinen (Vor)Lieben zurück. Er unterliegt gerade dieser schrägen Logik, die Martial für ihn aufbaut.


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Didaktische Umsetzung

Das Epigramm sollte den Schülern vorgelegt werden. Der Lehrer liest den Originaltext vor. Dann gibt er einige grammatikalische und den Wortschatz betreffende Erklärungen und übersetzt.
Die Schüler lachen, der Lehrer fragt, warum sie lachen.
Manche Schüler nennen die absurde Handlung und Situation, manche sehen die Beziehung von cinaedos und agellos, was irgendwie ein verrücktes Bild ergebe. Schon bei der ersten Sondierung werden auch formale Aspekte genannt. Die bei Witzen bekannte Dreigliederung und die gleichbleibenden Elemente gegenüber den Veränderungen kommen zur Sprache.
Der Lehrer sagt: Wir wollen einmal nicht den Inhalt heraus arbeiten, sondern genau diese äußeren Merkmalen transparent machen, also den Text in formaler Hinsicht analysieren.
Der Lehrer stellt verschiedene textanalytische und textlinguistische Methoden vor. Diese Methoden sind einfach gehalten, zeigen aber dem Schüler, dass es sich lohnt, bei kleineren Texten von der Makro- hin zur Mikrostruktur zu schreiten.
Der Lehrer stellt auf einem Textblatt folgende Möglichkeiten mit Arbeitsanweisungen vor:

  • Handlungsorientierte Struktur

Beschreiben Sie in einem Schaubild (mit Pfeilen, Verbindungen) den fortlaufenden Aufbau, bzw. die Beziehungen des vorliegenden Textes.

  • Syntaktische Struktur

Beschreiben sie den syntaktischen Aufbau (Wortarten, Fälle, Satzformen) des vorliegenden Textes.

  • Morphologische Struktur

Morphologie ist die Lehre von der Form eines einzelnen Wortes. Vier Worte sind in den drei Versen zu finden. Ihnen werden jeweils drei Signa zugeordnet, wobei Signum a für Gleichheit und Übereinstimmung, die Signa b, c, d für Verschiedenheit und Unterschied stehen. Verben erhalten Signa nach Grundform, Person und Tempus, die Substantive und Adjektive nach Grundform, Kasus und Numerus.
Stellen Sie den morphologischen Aufbau des vorliegenden Textes dar.

  • Phonologische Struktur

Phonologie ist die Lehre von den Klängen eines Textes. Gleiche und wiederholende Klänge bekommen das Zeichen +, ein einmaliger Klang erhält das Zeichen –.
Stellen Sie den phonologischen Aufbau des Textes dar.

Der Kurs wird in vier Gruppen aufgeteilt, die jeweils eine Aufgabe bearbeiten. Der Lehrer gibt Hilfestellungen. Die Arbeitszeit beträgt etwa 7 Minuten. Hierauf werden die Ergebnisse präsentiert. Sie sehen in etwa folgendermaßen aus:


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  • Handlungsorientierte Struktur

  • Syntaktische Struktur

In den drei Versen sind die syntaktischen Positionen völlig identisch. Es handelt sich um die gleichbleibende Folge von in sich abgeschlossenen Hauptsätzen. Die syntaktische Strukturformel lautet gleichermaßen: Verb mit Vokativ, Zahlwort, Akkusativ. Es herrscht ausschließlich das Prinzip des Parallelismus.

 

  • Morphologische Struktur

Nach Verteilung der Signa, ist folgendes Feld ersichtlich:
b a a       a a a       a a a       a a a
c a a       a a a       a a a       b a a
d a b      a a a        a a a       a a a

 

  • Phonologische Struktur

Nach Verteilung der Signa ist folgendes Feld ersichtlich:
– – +    + + + +    +    + + +
– – +    + + + +    +    – – +
– – –    + + + +    +    + + +

Es wird durch die verschiedenen Analyseformen dem Schüler transparent gemacht, was in formaler Hinsicht den vorliegenden Text prägt. Im Weiteren kann genannt werden:
In höchstem Maße ist der Text durch das Prinzip der Gleichheit (Syntax, Person, Name, Numerus, Klang, Position usw.) bestimmt. Hier spielt die Zahl 3 eine beherrschende Rolle. Die Funktionen der Wiederholungen sind:


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  • Sie sind Verstärkungselemente, strukturieren den Text und geben Gliederung und Charakter.
  • Sie prägen sich ein (Merkverse).

In geringem Maße ist der Text durch Neuheit bestimmt. Hier spielt die Zahl 1 (oder Verdopplung 2) eine beherrschende Rolle. Die Funktionen der neuen Elemente sind:

  • Sie geben dem Text Entwicklung und Spannung.
  • Sie bilden die Pointe.

Die Strukturanalyse liefert statistisches Material von den festen und variablen Teilen. Sie kann nur bedingt den Witz definieren, ihn aber nicht erklären.

 

OStR Michael Wenzel
michwenzel@web.de

_________________________

(1) Siehe dazu den vielleicht bekanntesten Vers VI 60,1 Laudat, amat, cantat nostros mea Roma libellos.

(2) Dazu umfassend M. Lausberg, Das Einzeldistichon. Studien zum antiken Epigramm (Studia et testimonia antica 19) München 1982.

(3) Zum Problem der Mündlichkeit allgemein siehe W. Burnikel, Zur Bedeutung der Mündlichkeit in Martials Epigrammbüchern I-XII, in: Vogt-Spira (Hg.), Strukturen der Mündlichkeit in der römischen Literatur, Tübingen 1990, 221-234.

(4) Damit sind nur einige wenige Aspekte angesprochen, warum die Epigramme Martials, die Sexualität zum Inhalt haben, in die Lektüresequenz der Oberstufe hinein genommen werden sollen.

(5) U. Joepgen, Wortspiele bei Martial, Diss. Bonn 1967, 73-74, kurz beleuchtet; M. Greenwood, Talking Flamingos and the Sins of the Tongue: the Ambiguous Use of lingua in Martial, CPh 93 (1998), 243, kurz erwähnt.

(6) Eine gründliche Werkinterpretation von Seiten des Lehrers ist bei der Martiallektüre eine unumgängliche Vorstufe, bevor er die didaktischen Möglichkeiten prüft. Martial ist einer der wenigen Schulautoren, bei denen der Lehrer ohne große Begleittexte, Rezeptionsdokumente, Illustrationen etc. auskommt. Die Arbeit mit und an dem Text steht im Vordergrund. Somit sollte die Lehrkraft seine verschiedenen Deutungsmöglichkeiten kennen und auszuloten verstehen. Es gilt dann in einem zweiten Schritt (was didaktisch sehr schwierig ist) die sprachlichen und inhaltlichen Pointierungen, Brechungen, Doppelbödigkeiten, Spielarten aus dem Schüler heraus zu fragen, sie ihm nicht überzustülpen. Eigentlich geht es darum, jede Seite, die, wie Martial sagt (X 4,10), bei ihm nach Mensch schmeckt, dem Schüler auch schmackhaft, d.h. lebendig machen zu können. Um diese Lebendigkeit auch umsetzen zu können, sollte der Lehrer ein großes Maß an Textwissen und Interpretationsfähigkeit, aber auch an Leichtigkeit, Humor und Aufgeschlossenheit mitbringen.

(7) Hier wie in VII 55,4 eine fiktive Person, siehe auch G. Galán Vioque, Martial, Book VII. A Commentary, Brill u.a. 2002, 331.

(8) Gerade im Gegensatz zu Martial, der angeblich auf seiner Gerüchteküche viele Epigramme aufbaut. Man vergleiche häufige Wendungen (fama est (fert), videtur, narratur, scimus, dicitur und ähnliche Floskeln), um alle möglichen Andeutungen und Halbwahrheiten auszustreuen und somit Stimmung und Spannung zu erzeugen.


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(9) In diesem Sinne z.B. II 61,2. III 81,2. IX 27,14. XI 25,2. XI 85,1. Siehe dazu noch H.P. Obermayer, Martial und der Diskurs über männliche „Homosexualität“ in der Literatur der frühen Kaiserzeit (Classica Monacensia 18), Tübingen 1998, 281f.

(10) Siehe unten in der didaktischen Umsetzung.

(11) Vgl. dazu N. Holzberg, Martial, Heidelberg 1988, 52f., mit umfassenden Stellenbelegen und Erklärungen.

(12) Das Epigramm ist ab der 11. Jahrgangsstufe geeignet und bietet sich, ohne in Details zu gehen, für eine sittengeschichtliche Betrachtung und Deutung (ohne den Witz zu vergessen) an. Dabei können auch andere sittengeschichtliche Fragen der Schüler beantwortet werden. Man kann an dieser Stelle mit den Schülern über die Zeit Martials sprechen, die „im Bereich der Erotik zwar Laster, aber keine Sünde kennt“ (H. Cancik, Die kleinen Gattungen der römischen Dichtung, in: M. Fuhrmann (Hg.), Römische Literatur (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft), Frankfurt a.M. 1974, 270), also keine verinnerlichte Moralvorstellung aufzuweisen hat. Für die Freizügigkeit im sexuellen Bereich kann man mehrere Gründe anführen: z.B. den Luxus bestimmter Gesellschaftsschichten, die Freiheit des Großstadtlebens, Sexualität als Konsumartikel und die Vorstellung, die vollständige Verfügungsgewalt über bestimmte Menschengruppen zu besitzen.

(13) Siehe Holzberg (Anm. 8) 52f.

(14) Siehe zu VI 91 in fachwissenschaftlicher Hinsicht F. Grewing, Martial, Buch VI. Ein Kommentar (Hypomnemata 115), Göttingen 1997, 572-574; M. Johnson, Martial and Domitian`s Moral Reforms, Prudentia 29 (1997), 24-70, bes. 53f. In der Fachdidaktik wird das Epigramm nicht erwähnt.

(15) Übersetzung zu VI 91 aus: P. Bariè und W. Schindler, Martial. Epigramme. Lat.-Dt. (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 1999, 446.

(16) Sancta als inhaltlich höchste Stufe findet am Ende witzigerweise sein Pendant in futuis.

(17) Gerade dass die Person des Zoilus (ungewollt) eine Ausnahme bildet, stellt den besonderen Witz des Gedichtes dar.

(18) Siehe auch S. Lorenz, Erotik und Panegyrik. Martials epigrammatische Kaiser (Classica Monacensia 23) Tübingen 2002, 152-162.

(19) Grewing (Anm. 13) 572.

(20) Siehe Grewing (Anm. 13) 573f. Hier auch die Diskussion zu finden, ob Zoilus eine reale oder fiktive Person darstellt. Vgl. besonders die Zoilus-Zyklen in Buch II und XI.

(21) Zu futuere siehe auch J.N. Adams, The Latin sexual vocabulary, London 1982, bes. 118-122.

(22) Die Lektüre auch dieses Einzeldistichons ist ab der 11. Jahrgangsstufe geeignet.

(23) Es ist deshalb sehr wichtig, am Anfang des Projektes die Epigramme zeit- und kulturgeschichtlich sicher zu verorten.


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(24) Bei einem von Anfang an vorgegebenen Text würde der Hexameter, der gleichsam eine pompöse Ouvertüre für moechari bildet, beim Schüler kaum in seiner Bedeutung hängen bleiben.

(25) Siehe auch Bariè - Schindler (Anm. 14) 1265, im Kommentar zu 2,3.

(26) V. Buchheit, Feigensymbolik im antiken Epigramm, RhM 103 (1960), 200-229; für Mart. XII 16 bes. 223f.; E.M.W. Kuppe, Sachwitz bei Martial, Diss. Bonn 1972, 93 (kurz erwähnt); M. Bowie, Martial Book XII: A Commentary, Diss. Oxford 1988, 93-95 (Bowie bietet Vergleichsstellen, aber wenig eigene Deutung).

(27) Eine fiktive Person, siehe Bowie (Anm. 25) 93.

(28) So in II 62 ein pedicatus, der den Körper völlig enthaart, in V 49 ein Kahlkopf, der ein Nimmersatt ist, in VII 66 ein Mann, der sich durch sexuelle Dienste eine angeblich größere Erbschaft verdient, und in XII 33 ein pedicatus, der Hämorrhoiden hat; durch die Haarlosigkeit und die sexuellen Attribuierungen ist wohl mit dem Namen an eine Ableitung von labi zu denken. Labienus ist also ein Mann, der leicht in jemanden gleitet oder umgekehrt, dem Dinge aus der Hand gleiten. Sein Handeln ist jetzt schon der Lächerlichkeit preisgegeben.

(29) Dem Leser, der zuvor das Poem als Tristichon identifiziert, wird hier zum zweiten Mal ein Signal für die Wichtigkeit der Zahl Drei gegeben und ihre symbolische Bedeutung eröffnet (Glückszahl).

(30) Durch die stetige Verbindung Verb, Vokativ, Numerale, Objekt wird der Eindruck eines Sachtextes vermittelt. Das verstärkt sich durch die Wiederholungen.

(31) Nach Freud der Wechsel von vaginaler zu analer Symbolik. Zur Verbindung von Geld und Analerotik siehe z.B. S. Freud, Charakter und Analerotik (1908b). In: Studienausgabe (Fischer Verlag) Frankfurt a. M. 1969, Band VII, 25-30, bes. 29.

(32) Siehe dazu B. Sprenger, Zahlenmotive in der Epigrammatik und in verwandten Literaturgattungen alter und neuer Zeit, Diss. Marburg 1962, hier 33f.; bei den Äckerchen handelt es sich gleichsam um einen abgerundeten Besitz, eine runde Sache.

(33) Das Namenmotiv (labi) klingt hier wieder an.

(34) Die zweite Nennung von Labiene und tres ist, vom Witzgenre aus betrachtet, als Verzögerung zu sehen, bevor Abrundung und Vollendung eintreten. Was zweimal genannt ist, befindet sich in der Mittelposition und steht noch unabgeschlossen da.

(35) Es kann hier - ohne direkte literarische Vorlage - unbewusst ein abgewandeltes Hans-im-Glück-Motiv herausgelesen werden: jemand verkauft ein  Ding bzw. drei Dinge, um wieder ein Ding bzw. drei einzuhandeln, das (die) eine starke Wertminderung darstellt(en). Durch das Wissen um den Charakter des Labienus und durch die Gattung des Witzepigramms verstärkt sich dieses Motiv noch.

(36) Zum Einkaufen eines meist jüngeren (knabenhaften) Sexualpartners bei Martial siehe H. P. Obermayer, Martial und der Diskurs über männliche „Homosexualität“ in der Literatur der frühen Kaiserzeit, Diss. Tübingen 1998 (Classica Monacensia 18), 30f.

(37) Dies ist in der zweiten Wiederholung von tres von großer Wichtigkeit. In Wahrheit hat er für drei Äckerchen drei alte Ärsche erworben. Buchheit (Anm. 25) paraphrasiert hier witzig: „Drei Äckerchen hast du gekauft und dafür drei andere Äckerchen gewonnen.“


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/2+3 (2006), 75

(38) Zu pedicare siehe J. N. Adams, The latin sexual vocabulary (Anm. 20) 123-125.

(39) Vgl. Sprenger (Anm. 31) 35f.

(40) Siehe drei Wünsche, drei Schwüre, drei Flüche usw.; vgl. dazu H. Usener, Dreiheit, RhM 58 (1903), 357.

(41) Wortwiederholungen und gleicher (identischer) Satzbau über mehrere Verse hinweg sind bei Martial beliebt; vgl. dazu I 109, 1-4. II 33. XI 47. XI 98, 4-6; siehe U. Joepgen, Wortspiele bei Martial, Diss. Bonn 1967, 155f. und E. Siedschlag, Zur Form von Martials Epigrammen, Diss. Berlin 1979, 41 und 45, die beide aber nicht auf die Funktionen der Wiederholungen eingehen.

(42) Hier die Vertauschung der Merkmale: unbelebt/belebt - abstrakt/konkret - dinglich/sinnlich - scheinhaft/wirklich.

(43) Dazu einfacher Bowie (o. Anm. 25) 94: „The joke is created … by the wonderfully fallacious logic of the proposition A sold B, A bought C, therefore B = C.“

(44) Siehe dazu besonders Buchheit (Anm. 25) 223f. und Adams (Anm. 20) 24 und 84. Beide stellen hier nur fest, beschreiben aber nicht, wie Martial mit der primären Funktion des Euphemismus spielt.

(45) Gleichsam eine ironische Liebeserklärung, die dem Labienus in den Mund gelegt wird.

(46) Dieses Epigramm kann (weniger wegen des sexuellen Inhalts) im Grund- oder Leistungskurs behandelt werden.