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                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/1 (2004), 109

Detlev Baur

Der Troianische Film:
Hollywood lässt sich von der „Ilias“ inspirieren.
Das Ergebnis ist sehenswert.

In einem Fernsehinterview rezitierte Regisseur Wolfgang Petersen, der einst in Hamburg ein humanistisches Gymnasium besuchte, zum Beweis seiner Griechisch-Kenntnisse Altgriechisches; doch nicht, wie er wohl glaubte, den Beginn der Ilias, sondern die Anfangsworte der Odyssee. Spätestens da war klar: Ein philologisch korrekter "Troja"-Film ist von dem deutschen Hollywood-Star nicht zu erwarten. Allerdings bescheidet sich der aufwändige Historien-Streifen, wie der Abspann verrät, auch damit, dass er durch Homers Ilias „inspiriert“ sei. Homer diente also in Abwandlung des „Andra moi ennepe mousa“ als Muse für Hollywood.

Das Drehbuch des monumentalen Films hat den Kampf um Troia auf wenige Tage begrenzt; die den jahrelangen Krieg bereits konzentrierende Ilias ist filmgerecht weiter gestrafft. Für ein wirkungsvolles Finale wurde Homers offenes Ende begradigt: Troia brennt, Achill stirbt - und Aeneas macht sich auf zur folgenreichen Flucht. Auch das uniliadische, in seiner optischen Wirksamkeit aber unschlagbare "troianische" Pferd fehlt nicht. Andererseits sind zentrale Szenen des Epos wie der Abschied des Helden Hektor von Frau und kleinem Kind oder der Bittbesuch des Priamos bei Achill groß in Szene gesetzt.

Abgesehen von der Erzählstruktur, die im Film notwendigerweise anderen Gesetzen folgen muss als im Vers-Epos, ist der "Troja"-Film in einem zentralen Punkt von Homer verschieden - und daraus ergeben sich beinahe alle weiteren Differenzen: Die Götter sind verschwunden. Zwar gibt es noch Tempel und Priester; doch die wahren Helden, Achill wie Hektor, glauben nicht mehr wirklich an die Existenz oder die Wirkung göttlicher Mächte. Achills Mutter Thetis weissagt anfangs ihrem Sohn sein glorreiches Ende, doch tut sie das nicht in ihrer Eigenschaft als Göttin, sondern als besorgte und hell sehende Mutter. Die troianischen Priester sind schlechte Ratgeber, bei den Griechen spielen sie keine Rolle.

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/1 (2004), 110

Der machtgeile Agamemnon, Menelaos und die anderen hohen Herren wirken in "Troja" wie Bürokraten der Macht. Priamos (Peter O‘Toole) ist zwar ein netter alter Mann, er lässt sich jedoch von seinen Beratern zu falschen Entscheidungen drängen. Die Könige samt Gefolge stehen für eine verknöcherte Welt alter Männer, deren Dummheiten die jungen Helden ausbaden dürfen. Sympathisch wirken dagegen jeweils die Antipoden Achill und Hektor. Dieser (Eric Bana) ist ein besorgter Familienmensch und Prinz, der außerhalb seines „Jobs“, Schlachten, keiner Fliege etwas zu Leide täte. Jener wird von Brad Pitt nur nebenbei als Kraftprotz dargestellt. Pitts Achill ist ein Spieler, der aus sportlichem Ehrgeiz leidenschaftlich gerne kämpft. Er durchschaut und hasst den egoistischen, menschenverachtenden Agamemnon (Brian Cox), den wahren „bad guy“ des Films. Gleichzeitig ist Pitts Achill ein schwermütiger, zutiefst romantischer Mensch. Im sportlichen Kampf sucht er eine Flucht aus der tristen Welt. Schließlich erweist er sich im Angesicht der geliebten Briseis als faustischer Augenblicksgenießer. „Die Götter beneiden uns“, meint Achill, da sie nicht den vergänglichen, den intensiven Moment erleben könnten. In dieser zentralen Szene entfernt sich der Film weit von Homers glücklicher Götterwelt. Doch auch Achill reicht der unvergleichliche Liebes-Moment nicht aus. Denn er zog in den Krieg, den er nicht überleben wird, um namentlich unsterblich zu werden. Der Ruhm bei der tausende Jahre jüngeren Nachwelt adelt diese Helden? So schlägt Odysseus (Sean Bean) im Schlusswort die Brücke von Homers Protagonisten zum heutigen Filmzuschauer. Der sachliche Ehr-Begriff der homerischen Helden verwandelt sich im Angesicht einer historistischen, amerikanisch verklärenden Weltsicht zur Hoffnung auf künftige Medienpräsenz.

Ihrem Atheismus entsprechend sind die klugen Helden Achill, Hektor oder Odysseus von Pragmatismus bei der Arbeit geprägt. In knappen, aber geistreichen wie genauen Dialogen bewegen sie sich durch das staubige und blutige Schlachten. Die Kampfszenen wirken, fern aller Leichtigkeit asiatischer Kampfkunstfilme, homerisch nüchtern. Doch geht dem Film dessen poetische Leichtigkeit der göttlichen Figuren oder auch Naturbeschreibungen ab. Bei aller pseudo-historischen Kostümierung ist der psychologische Realismus des massenkompatiblen Leinwand-Epos dem gegenwärtigen Regietheater auf deutschen Theaterbühnen gar nicht fern (zuletzt wurden auf Stuttgarter Bühnen auch Ilias wie Odyssee dramatisiert). Auch griechische Tragödien werden heute in aller Regel in eine gottlose Alltagswelt transponiert. Vorbildlich gelang dies 2002 Jossi Wieler mit der Alkestis an den Münchner Kammerspielen. (In einem großbürgerlichen Ambiente ging zwar jede religiöse Dimension verloren, doch gewann das Spiel zeitlos gültige, humane Verbindlichkeit).

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/1 (2004), 111

Petersens Helden sind überwiegend hervorragend gespielte, interessante Persönlichkeiten. Lediglich die von der Deutschen Diane Krüger personifizierte Helena bleibt, obwohl sie durch ihre Schönheit glänzt, als Figur sehr blass. Die „aufregendere“ Heldin ist Briseis (Rose Byrne), bei Homer ja der Anfang alles innergriechischen Übels. Sie ist eine tapfere Frau und wird Achills große Liebe. Ihr bleibt es vorbehalten, den miesen Agamemnon am Ende aus Notwehr zu töten (womit Klytaimestra und Ägisth Arbeit und manchem Tragiker sein Stoff entzogen wäre) und um Achill zu trauern. Der wird von Paris (Orlando Bloom), welcher sich vom Feigling zum Helden entwickelt hat, nach einem Pfeilschuss durch die Ferse getötet. Die eigenwillige Briseis wirkt wie ein Mensch von heute, genau so wie ihre männlichen Gegenüber Achill und Hektor.

Alles in allem zeigt die in der differenzierten und schlüssigen Figurenzeichnung manch anderem Hollywood-Film überlegene "Troja"-Verfilmung großes Breitwand-Theater. Die Differenzen zur „Vorlage“ herauszuarbeiten, könnte für lernende wie lehrende Kenner Homers eine spannende und fruchtbare Aufgabe sein. Nicht um zu beweisen, wie „unkorrekt“ Petersen und sein Team gearbeitet haben, sondern um die kulturellen Differenzen zwischen göttlicher homerischer Antike und hollywoodbestimmter Gegenwart herauszuarbeiten.

Die Deutsche Bühne – Das Theatermagazin: http://www.die-deutsche-buehne.de