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                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/1 (2004), 68


Jürgen Bertram

„Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft!“ –
Der Wettlauf im Spiegel antiker lateinischer Autoren

Der berühmte Ausspruch des vierfachen Olympiasiegers Emil Zatopek, der 1948 den 10000 m- und 1952 den 5000 m -, 10000 m - und Marathon-Lauf gewann, verweist auf das Laufen als die Ursportart des Menschen. Auch wenn heutzutage neben dem sportlichen Ehrgeiz vor allem gesundheitliche Gründe Menschen antreiben, sich dem Laufsport zu verschreiben, hat das Laufen von seiner eigentlichen Faszination an der körperlichen Bewegung nichts verloren.

Das Laufmagazin „Spiridon“, das seinen Namen vom ersten Marathon-Olympiasieger der Neuzeit Spiridon Louis (1896 in Athen) trägt, berichtet in seinem Heft zur Jahreswende 03/04 vom ungebrochenen Boom großer Laufveranstaltungen in Deutschland. Nicht nur Prominente, wie unser Marathon laufender Außenminister Joschka Fischer, haben den Laufsport und den Reiz der Ausdauerleistung für sich entdeckt. Das ganze Jahr über messen sich überall in Deutschland tausende Frauen und Männer von Jung bis Alt bei offiziellen Läufen über verschiedene Distanzen, und es vergeht kaum ein Wochenende, an dem nicht irgendwo in unserer Republik ein Marathon gestartet wird. Einige dieser Veranstaltungen zählen nur weniger als 100 Teilnehmer, andere locken etliche Tausende auf die Straße. So standen 2003 u.a. mehr als 30.000 Läuferinnen und Läufer erfolgreich den letzten Berlin-Marathon durch, etwa halb so viele liefen in Köln und Hamburg die 42,195 km.

Die besten Sportler aus aller Welt treffen sich im Sommer bei den XXXVIII. Olympischen Spielen der Neuzeit in Athen (13.-29.08.04), wo insgesamt über 300 verschiedene Wettbewerbe ausgetragen werden. Davon wird es 13 verschiedene Laufwettbewerbe (inkl. Gehen) für Männer und 11 für Frauen   - jeweils mit zusätzlich zwei Staffelwettbewerben - vom 100m - Sprint bis zum Marathon (42,195 km) geben; schließlich gehören auch noch zur Königsdisziplin der Leichtathleten, dem Zehnkampf, drei Laufwettbewerbe.

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1. Laufen in der Antike

In der Antike war die Bewegung zu Fuß, gehend oder laufend, - anders als heute, wo doch viele von uns selbst kurze Strecken eher mit dem Auto, dem Aufzug oder der Rolltreppe bewältigen - die selbstverständliche Fortbewegung schlechthin. Nur wenigen Privilegierten war es vorbehalten, auf die Unterstützung von Pferden, Kutschen oder gar Sänften zurück- greifen zu können, um nicht selber auf unwegsamem Gelände, schlecht ausgebauten, staubigen Wegen und unter ungemütlichen Witterungsbedingungen, wie starkem Regen oder großer Hitze, die Beine bemühen zu müssen.

Bei den Römern stand das Laufen an sich in keiner hohen Gunst; sportliche Ertüchtigung verlegte man eher auf Ringen, Boxen, Fechten, Ballspiele, Gymnastik oder Schwimmen. Laufen nahm man allenfalls als Dienstleistung von schnellen Briefboten in Anspruch: speziell

trainierte Sklaven verfügten dafür über ein hohes Maß an Ausdauer, konnten sie doch sogar mehrere Tage ohne lange Pausen unterwegs sein. Tagesleistungen von bis zu 50 km waren keine Seltenheit, und der Bote, der nach der Schlacht bei Thapsus (46 v. Chr.) die Meldung von der Niederlage zu Cato nach Utica brachte, soll sogar die 210 km lange Strecke in nur drei Tagen zurückgelegt haben. (1)

Der römische Dichter Martial erwähnt in seinen Epigrammen das Training junger Männer, die in Rom zur körperlichen Ertüchtigung ihr tägliches Laufpensum auf Sportgeländen absolvierten. (2) Im Circus traten Langläufer (cursores) zuweilen neben Pferdeakrobaten, Artisten, Ringern und Faustkämpfern zur Unterhaltung des Publikums auf (3), um ihr außergewöhnliches Ausdauervermögen vor einer breiten Masse zur Schau zu stellen . C. Plinius Secundus berichtet in seinen Naturalis historiae libri (VII 84) von Dauerläufern im Circus, die CLX passuum (ca. 240 km) zurückgelegt haben sollen; und sogar ein achtjähriger Junge, der dort von mittags bis abends ununterbrochen lief, soll im Jahr 59 n. Chr. auf eine Gesamtleistung von über 110 km (LXXV passuum) gekommen sein.

Im Griechenland der Antike hatte das sportliche Laufen vor allem bei den klassischen Spielen in Olympia einen ganz besonderen Stellenwert. Es gab den Fackellauf zum Entzünden des Opferfeuers, dann traten Männer in unterschiedlichen Disziplinen zum Wettkampf an, wie beim Stadionlauf (in Olympia ca. 197 m), beim Doppellauf und über verschiedene Langstreckenläufe von 7 – 24 Stadien, was ungefähr unseren heutigen Mittelstreckendistanzen von 1500 – 5000 m entspricht.

Die Laufwettbewerbe der antiken Olympischen Spiele waren indes nur den Männern vorbehalten, wurden am Nachmittag des dritten Tages ausgetragen und begannen mit den langen Distanzen. Eine Begrenzung der Startmeldungen von den jeweiligen Städten gab es nicht, dies führte zu olympischen Ausscheidungswettkämpfen.

Das Startritual der Rennen unterlag einer strengen Reglementierung: Von einer in den Sand gezogenen Linie, später sogar von daumendicken Rillen in Steinquadern, wie sie heute noch im antiken Olympia zu sehen sind, liefen die Athleten los, Fehlstarts wurden – für einen freien Mann eine Schande - mit Auspeitschen bestraft. Bis zu 20 Läufer konnten gleichzeitig in den Wettkampf geschickt werden, alle liefen nackt und eine Zeitnahme gab es nicht.

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Den Siegern wurden zahlreiche Ehren zuteil. Neben einer Bildsäule in der Altis, bezahlt von der Heimatstadt des Athleten, gab es große Feste bei der Rückkehr der Champions. Es ist überliefert, dass zur Ehrung des heldenhaften Siegers sogar Stücke von Stadtmauern eingerissen wurden; denn eine Stadt, die solche Söhne habe, benötige keine Mauern. Ein Olympiasieg lohnte sich für den Gewinner auch finanziell: Befreiung von Steuern, kostenlose Kost und Unterkunft, Ehrenplätzen in Theatern und Unmengen von Geschenken. Doch hat ein Olympiasieger auch einige Pflichten, so wird nämlich von ihm auch bei folgenden Olympiaden die Teilnahme erwartet. (4)

Beeindruckende Laufleistungen sind aus hellenistischer Zeit überliefert: Polites aus Keramos z.B. gewann an einem Nachmittag alle drei Laufwettbewerbe und von Leonidas aus Rhodos wird berichtet, dies sei ihm sogar bei vier Olympiaden gelungen. Und Ageos, Sieger der 113. Olympiade im Langlauf, soll nach dem Wettkampf noch in seine 100 km entfernte Heimatstadt Argos über die Berge gelaufen sein und persönlich die Nachricht vom Sieg überbracht haben. Von Philonides, einem Kreter, liest man, er sei ohne Unterbrechung 200 km in 24 Stunden von Korinth nach Elis gelaufen. (5) Und der Athener Philippides soll im Jahre 490 vor der Schlacht von Marathon die Botschaft von der Landung der Perser nach Sparta überbracht haben und dabei diese 255 km lange Strecke über unwegsame Gebirgspfade in nur 24 Stunden zurückgelegt haben. Dann, so ist es zu lesen, soll er ohne Erfolg mit den Spartanern verhandelt und die gleiche Distanz anschließend wieder ohne Pause in einem Tag zurück gelegt haben. (6) Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang Plutarchs Legende des Ur-Marathonläufers: Ein Soldat soll als Bote von Marathon nach Athen gelaufen sein und die Nachricht vom Sieg über die Perser überbracht haben. Aber anschließend sei er auch vor Erschöpfung tot umgefallen.

2. Der Laufsport in der Antike - eine thematische Lektüre im Lateinunterricht

Nicht nur in der Zeit vor großen Sportereignissen wie Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften bietet es sich im Lateinunterricht an, thematisch den Schwerpunkt auf den Sport in der Antike zu verlegen. In der Lehrbuchphase beschränken Lektionstexte die sportliche Bewegung antiker Menschen meistens nur auf das Schwimmen, gymnastische Übungen, Ringen und Ballspiele in den Thermen, auf Wagenrennen im Circus sowie die breite Palette an „ludi“ in den Amphitheatern. Damit wird leicht der Blick auf eine der ursprünglichsten aktiven Betätigungen des Menschen verstellt, die in der klassischen Zeit bei Olympiaden noch einen sehr hohen Stellenwert besaß: das Laufen und den damit verbundenen Wettkampfcharakter.

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Im Folgenden wird nun ein Beispiel für eine thematische Lektüre mit sportlichem Schwerpunkt für das Fach Latein vorgestellt, bei dem das Laufen im Wettkampf in den Blick genommen wird. Vor, während und nach dem Wettkampf werden unterschiedliche Aspekte des Laufsports jeweils mit lateinischen Textpassagen verschiedener Autoren näher beleuchtet und bieten in ihrer zeitlosen Aussage jeweils auch Anknüpfungspunkte für Aktualisierungen im Unterricht.

2.1 Überblick über die Unterrichtssequenz mit den ausgewählten lateinischen Textpassagen :

Der Laufsport in der Antike   – eine thematische Lektüre im Lateinunterricht

1. Die Vorbereitung auf den Wettkampf
1.1    exercitatio – Training
Text 1: Ohne Fleiß kein Preis – Prinzipien des erfolgreichen Athletentrainings : Leistungsbereitschaft und Einstellung(Seneca d. Ä., Controversiae IX 24)  



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Non est autem utilis exercitatio, nisi quae
operi simillima est, in quod exercetur; itaque
durior solet esse vero certamine.
Gladiatores gravioribus armis discunt quam
pugnant; diutius illos magister armatos quam
adversarius retinet. Athletae binos simul ac
ternos fatigant, ut facilius singulis resistant.
Cursores, cum intra exiguum spatium de
velocitate eorum iudicetur, id saepe in
exercitationem decurrunt, quod semel
decursuri sunt in certamine. Multiplicatur ex
industria labor, quo condiscimus, ut levetur,
quo decernimus.

exercitatio: Training
certamen: Wettkampf 
magister: (h.) Trainer
bini: je zwei
terni: je drei
fatigare: (h.) verschleißen 
cursor: Läufer
exiguus: klein
velocitas: Schnelligkeit
ex industria: absichtlich, vorsätzlich
(con)discimus - levare: erleichtern

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Leistungsbereitschaft und Einstellung (Texte 2 und 3)
Text 2: Ungebrochener Kampfgeist  (Seneca, Epistulae XIII 2) 



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Non potest athleta magnos spiritus ad certamen
adferre, qui numquam suggillatus est; ille, qui
sanguinem suum vidit, cuius dentes crepuere sub
pugno, ille, qui subplantatus adversarium toto tulit
corpore nec proiecit animum proiectus, qui, quotiens
cecidit, contumacior resurrexit, cum magna spe
descendit ad pugnam.

suggillare: windelweich schlagen, verprügeln
crepare, -ui: zerbersten, krachen
subplantare: zu Fall bringen
pro-iecere, -io, -ieci, -iectum: hin-, wegwerfen
contumax: trotzig
resurgere, -o, -surrexi: s. erheben

Text 3: Unbändiger Siegeswille - ein Spartaner gibt nicht auf (Seneca, De beneficiis V 3, 1) 



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Lacedaemonii vetant suos pancratio aut caestu
decernere, ubi inferiorem ostendit victi confessio.
Cursor cretam prior contigit: velocitate illum, non
animo antecessit; luctator ter abiectus perdidit palmam,
non tradidit. Cum invictos esse Lacedaemonii cives suos
magno aestimarent, ab iis certaminibus removerunt, in
quibus victorem facit non iudex nec per se ipse exitus,
sed vox cedentis et tradere iubentis.

Lacedaemonii: Spartaner
pancratium: Allkampf (Faust- und Ringkampf)
caestus, us: Boxen
inferior: Unterlegener
confessio: Bekenntnis
creta: Kreide, (h.) Zielinie
contingere: erreichen
antecedere: übertreffen
luctator: Ringer
abicere: zu Boden werfen
palma: Siegespreis, Sieg
removere: abhalten

Kurz vor dem Wettkampf
Text 4: Des Läufers Traum vom Sieg (Cicero, De divinatione II 144) 



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Cursor ad Olympia proficisci cogitans visus est in
somnis curru quadrigarum vehi. Mane ad coniectorem.
At ille: „ Vinces“, inquit, „id enim celeritas significat et
vis equorum.“ Post idem ad Antiphontem. Is autem :
« Vincare », inquit, « necesse est ; an non intellegis
quattuor ante te cucurisse ?“
Ecce alius cursor ad interpretem detulit aquilam se in
somnis visum esse factum. At ille: „Vicisti; ista enim
avis volat nulla vehementius.“ Huic eidem Antipho:
„Baro“, inquit, „victum te esse non vides ? Ista enim
avis insectans alias aves et agitans semper ipsa
postrema est.”

cursor: Läufer
currus quadrigarum: Viergespann
coniector: Traumdeuter, Wahrsager
Antipho(n), ntis: (Sophist)
vincare = vincaris
interpres, tis: Traumdeuter
aquila: Adler
baro, onis m.: Tölpel, einfältiger Mensch
insectari: verfolgen, bedrängen

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2. Der Wettkampf
Start
Text 5: Die übliche Startrangelei – fair sein oder schneller? (Erasmus, Apophthegmata I 40)



Leon, cum videret in Olympiis cursores sollicitos de
emissione, ut aliquid lucri haberent ad occupandum
victoriam : « Quanto maior est », inquit, « cura c
ursoribus de celeritate quam de iustitia.“

Leon: gr. Politiker
cursor: Läufer
emmissio, onis f.: Start
lucrum: Vorteil
cursor: Läufer

2.2 Wettkampf
Text 6: Ein Laufwettbewerb mit skandalösem Ausgang (Vergil, Aeneis V 286 – 339) (7)
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Hoc pius Aeneas misso certamine tendit
gramineum in campum, quem collibus undique curvis
cingebant silvae, mediaque in valle theatri
circus erat; quo se multis cum milibus heros
consessu medium tulit exstructoque resedit.
Hic, qui forte velint rapido contendere cursu,
invitat pretiis animos, et praemia ponit.
Undique conveniunt Teucri mixtique Sicani,
Nisus et Euryalus primi,
Euryalus forma insignis viridique iuventa,
Nisus amore pio pueri; quos deinde secutus 
regius egregia Priami de stirpe Diores;
hunc Salius simul et Patron, quorum alter Acarnan,
alter ab Arcadio Tegeaeae sanguine gentis;
tum duo Trinacrii iuvenes, Helymus Panopesque,
adsueti silvis, comites senioris Acestae;
multi praeterea, quos fama obscura recondit.
Aeneas quibus in mediis sic deinde locutus:
“Accipite haec animis laetasque advertite mentes.
Nemo ex hoc numero mihi non donatus abibit.
Cnosia bina dabo levato lucida ferro
spicula caelatamque argento ferre bipennem;
omnibus hic erit unus honos. Tres praemia primi
accipient flavaque caput nectentur oliva. 
Primus equum phaleris insignem victor habeto;
Alter Amazoniam pharetram plenamque sagittis
Threiciis, lato quam circum amplectitur auro
balteus et tereti subnectit fibula gemma;
tertius Argolica hac galea contentus abito.”

Als die Regatta beendet, begab sich der fromme Aeneas
auf ein grasiges Feld, das rings auf Hügelterrassen
Wälder umkränzten; mitten im Talgrund lag des Theaters
Rennbahn; dicht umwogt von Tausenden trat in des Festes
Rund in die Mitte der Held, nahm Platz auf hohem Altane.
Allen, die etwa in reißendem Lauf zu streiten gewillt sind,
weckt er mit Preisen die Lust und stellt Belohnung in Aussicht.
Allseits kommen sie her, die Teukrer im Bund mit Sikanern,
Nisus und Euryalus sind die ersten.
Euryalus von herrlichem Wuchs und blühender Jugend,
Nisus dem Knaben in Treuen gesellt, nach ihnen sogleich kommt
Prinz Diores, ein Reis von Priamus’ herrlichem Stammbaum.
Salius folgt ihm und Patron auch, Akarnane der eine,
aus Arkadierblut vom Stamm Tegeaeas der andre.
Elymus und Panopes, zwei Mannen Trinakrias, folgen,
beide an Wälder gewöhnt, Begleiter des alten Akestes;
Ferner liefen noch viele, doch bleibt ihr Name im Dunkel.
Dicht von allen umringt begann Aeneas zu reden:
„Merket fröhlich nun auf und vernehmt, was ich hier verkünde:
Keiner aus dieser Zahl geht ohne Geschenk mir von dannen.
Gnosische Wurfspieße will ich je zwei mit glänzend poliertem
Eisen schenken, dazu eine Axt mit silbernem Zierrat.
Diese Ehre wird allen zuteil. Doch Preise empfangen
Die drei Ersten, ihr Haupt wird bekränzt mit goldgelbem Ölzweig.
Prächtig geschmücktes Roß soll haben der erste der Sieger,
echt amazonischen Köcher gewinnt der zweite; darin sind
thrakische Pfeile; ein Gurt von breitem Golde umschlingt ihn,
und eine Schnalle mit länglich-gerundetem Edelstein schließt ihn.
Mit dem argolischen Helm hier muß sich der dritte begnügen.

(Übersetzung: Johannes Götte, Vergil Aeneis, München 1979, 124f.)

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Haec ubi dicta, locum capiunt signoque repente
corripiunt spatia audito limenque relinquunt,
effusi nimbo similes. Simul ultima signant,
primus abit longeque ante omnia corpora Nisus
emicat et ventis et fulminis ocior alis;
proximus huic, longo sed proximus intervallo,
insequitur Salius; spatio post deinde relicto
tertius Euryalus;
Euryalumque Helymus sequitur; quo deinde sub ipso
ecce volat calcemque terit iam calce Diores
incumbens umero, spatia et si plura supersint
transeat elapsus prior ambiguumque relinquat.
Iamque fere spatio extremo fessique sub ipsam
finem adventabant, levi cum sanguine Nisus
labitur infelix, caesis ut forte iuvencis
fusus humum viridisque super madefecerat herbas.
Hic iuvenis iam victor ovans vestigia presso
haud tenuit titubata solo, sed pronus in ipso
concidit immundoque fimo sacroque cruore.
Non tamen Euryali, non ille oblitus amorum:
Nam sese opposuit Salio per lubrica surgens;
ille autem spissa iacuit revolutus harena,
emicat Euryalus et munere victor amici
prima tenet, plausuque volat fremituque secundo.
Post Helymus subit et nunc tertia palma Diores.

repente: plötzlich
corripere spatia: in die Rennbahn stürzen
limen: Start
ultima signare: das Ziel ins Auge fassen
Nisus: (Läufer)
emicare: vorauseilen
fulmen:Blitz
ocior: schneller
intervallum: Abstand
Salius: (Läufer)
Euryalus: (Läufer)
Helymus: (Läufer)
calx, cis f.: Ferse, Fuß
calcem terere: auf dem Fuße folgen
Diores: (Läufer)
incumbere: anlehnen
umerus: Schulter
alqm. ambiguum relinquere: komme mit jmd. gleich ins Ziel
spatio extremo:am Ende der Bahn
sub (m. Akk.): nahe an
adventare: näher -, ankommen
levis: glatt
ut forte: weil gerade
iuvenca: Opfertier
viridis: grün, frisch
herba: Kräuter
madefacere: nass machen
ovare: jubeln
titubata vestigia: strauchelnde Schritte
solum premere: den Boden betreten
pronus: vornübergeneigt
immundus: schmutzig
fimus: Unrat
sacer cruor: Opferblut
lubrica, orum: Schlamm
spissa harena: klumpiger Sand
revolvere, -volvi, -volutus: zurückfallen
plausus secundus: gefälliger Beifall/Klatschen
volare: dahineilen, laufen
fremitus,us m.: Jauchzen
subire: nahen, heranlaufen
palma: Siegespreis, Sieger

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3. Siegerehrung
Text 7: Ein Laufwettbewerb mit einer ungewöhnlichen Siegerehrung (Vergil, Aeneis V 340 - 361)
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Hic totum caveae consessum ingentis et ora
prima patrum magnis Salius clamoribus implet,
ereptumque dolo reddi sibi poscit honorem.
Tutatur favor Euryalum lacrimaeque decorae,
gratior et pulchro veniens in corpore virtus.
Adiuvat et magna proclamat voce Diores,
qui subiit palmae frustraque ad praemia venit
ultima, si primi Salio reddentur honores.
Tum pater Aeneas «vestra» inquit «munera vobis
certa manent, pueri et palmam movet ordine nemo;
me liceat casus miserari insontis amici.»
Sic fatus tergum Gaetuli immane leonis
dat Salio villis onerosum atque unguibus aureis.
Hic Nisus «si tanta» inquit «sunt praemia victis,
et te lapsorum miseret, quae munera Niso
digna dabis, primam merui qui laude coronam
ni me, quae Salium, fortuna inimica tulisset?»
Et simul his dictis faciem ostentabat et udo
turpia membra fimo. Risit pater optimus olli
et clipeum efferri iussit, Didymaonis artes,
Neptuni sacro Danais de poste refixum.
Hoc iuvenem egregium praestanti munere donat.

Da lässt Salius rings durch die Reih’n des riesigen Rundes,
dicht vor dem Antlitz der Väter, gar laut die Klage ertönen,
fordert für sich die Ehre zurück, die tückisch entraffte.
Doch den Euryalus schützt der Jubel umher, seine blanken
Tränen und Mannheit, die holder noch blüht aus leiblicher Schönheit.
Hilfreich naht und ruft mit lauter Stimme Diores,
der ja dem Sieg so nah und umsonst zur letzten Belohnung
kam, wenn Salius wieder zuerst empfinge die Ehre.
Da sprach Vater Aeneas: „Ihr Jünglinge, eure Geschenke
bleiben Euch sicher und keiner verdrängt vom Platze einen Sieger.
Mir sei Mitleid erlaubt mit dem Fall des schuldlosen Freundes.”
Sprach’s und reichte das riesige Fell eines Gaetulerlöwen
Salius hin, von Zotteln her und goldenen Klauen.
Da sprach Nisus: „Wenn solch Lohn den Besiegten zuteil wird
Und der gestürzten dich jammert, wie ehrst du mit würdigem Lohne
Nisus alsdann ? Erwarb ich doch rühmlich als erster die Krone,
hätte nicht feindlich Geschick, wie den Salius, mich auch getroffen.“
Dabei wies er zugleich sein Gesicht und die garstig vom feuchten
Schmutze besudelten Glieder; ihm lächelte gütig der Vater
Zu und ließ einen Schild ihm bringen, Werk Didymaons,
Danaer rissen ihn einst vom Tempeltor des Neptunus.
So mit prächtiger Gabe beschenkt er den herrlichen Jüngling.

(Übersetzung: Johannes Götte, Vergil Aeneis, München 1979, 127)

4. Rekordverdächtige Leistungen
Text 8: Laufleistungen für das Guinness-Buch der Rekorde (Plinius, Naturalis historia VII 84)
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Cucurrisse MCXL stadia ab Athenis Lacedaemonem biduo Philippidem magnum erat, donec Anystis cursor Lacedaemonius et Philonides Alexandri Magni a Sicyone Elim uno die MCCCV cucurrerunt.
Nunc quidem in circo quosdam CLX Cpassuum tolerare non ignoramus nuperque Fonteio et Vipstano cos. annos VIII genitum a meridie ad vesperam LXXV passuum cucurrisse.
Cuius rei admiratio ita demum solida perveniat, si quis cogitet nocte ac die longissimum iter vehiculis Tib. Neronem emensum festinantem ad Drusum fratrem aegrotum in Germaniam. Ea fuerunt CC passuum.

stadium: (griech. Maß) ca. 190 m
Lacedaemon, onis f.: Sparta
biduo: in zwei Tagen
Lace daemonius: aus Sparta
Sicyon: (gr. Stadt)
Elis: (gr. Landschaft)
Fonteius/Vipstanus: Konsuln im Jahr 59 n. Chr.
cos . = consulibus
solidus: echt, richtig
(iter) emetiri, -ior, emensus sum: (eine Strecke) zurücklegen

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2.2 Erläuterungen zu den einzelnen lateinischen Textpassagen

Teil 1 „Die Vorbereitung auf den Wettkampf” setzt sich aus vier kurzen lateinischen Textpassagen zusammen.

Seneca d. Ä. (55 v. Chr. – 40 n. Chr.) erörtert in IX 24 aus den Controversiae , einer Sammlung von Musterreden juristischer Fallbeispiele, die in der Zeit der Herrschaft Caligulas entstanden sind und in einer Art „Streitreden” das Pro und Contra schwieriger Fälle der Rechtssprechung behandeln, am Beispiel der Vorbereitung von Gladiatoren und Läufern (cursores) das entscheidende Prinzip des erfolgreichen Athletentrainings: „durior solet esse certamine” (Text 1).

Sein Sohn Seneca (minor) (4 – 65 n. Chr.) thematisiert in einem Auszug (XIII 2) aus den Epistulae , einer Briefsammlung an seinen Freund Lucilius mit überwiegend philosophischen Abhandlungen, den ungebrochenen Siegeswillen, den ein Athlet als Voraussetzung für einen erfolgreichen Wettkampf mitbringen muss, „ qui, quotiens cecidit, contumacior resurrexit” (Text 2) . Der gleiche Autor stellt in seinem philosophischen Werk De beneficiis (V 3,1), in dem er das Prinzip, Gutes zu tun, als Grundaufgabe des Menschen in sieben Büchern und unter verschiedenen Aspekten erörtert, die Mentatlität der Spartaner als leuchtendes Vorbild für unbändigen Siegeswillen heraus. Denn nur die Sieger im Faustkampf oder beim Wettlauf genießen höchstes Ansehen bei den eigenen Landsleuten (Text 3).

Schließlich widmet sich Cicero (106 – 43 v. Chr.) in De divinatione II 144, dem kurz nach Caesars Tod erschienenen Werk über Prophetie in Dialogform, einem Läufer bei den Olympischen Spielen, der vom Sieg vor dem Wettkampf träumt, aber unterschiedliche Deutungen seines Traums erhält (Text 4).

Teil 2 „Der Wettkampf” umfasst zwei lateinische Textauszüge aus völlig unterschiedlichen Epochen:

Die Fairness der Läufer am Start ist das Thema d es Textausschnitts aus den Apophthegmata (I 40), den „Aussprüchen“, von Erasmus von Rotterdam (1469 – 1536), dem berühmten niederländischen Theologen und Humanisten, der im Mittelalter in seinen Schriften bestrebt war, Christentum und Antike miteinander zu verbinden (Text 5).

Der Textauszug 6 ist Vergils (70 – 19 v. Chr.) Aeneis entnommen, dem römischen Nationalepos, das in 12 Büchern von der Flucht der Trojaner aus der von den Griechen eingenommenen Stadt unter Führung des Aeneas berichtet. Die Trojaner landen schließlich nach vielen Irrfahrten in Latium und erobern in blutigen Kämpfen das Land. In deutlicher strukturaler Anlehnung an Homers Ilias und Odyssee entfaltet Vergil auf dem Hintergrund des Endes der Bürgerkriege im 1. Jhd. v. Chr.   und des endgültigen Sieges Octavians die Entstehung des Imperium Romanum und den Beginn der pax Augustana, der zentrale Held Aeneas „gilt als Präfiguration des Augustus“ (8).

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Im V. Buch der Aeneis (VV. 286-361) hat Vergil einen spannenden sportlichen Wettkampf zwischen Läufern mit einem ungewöhnlichen Ausgang gedichtet. Er findet bei den Leichenfestspielen zu Ehren des toten Anchises in Sizilien statt, mit den Freunden Nisus und Euryalus als den zentralen Handlungspersonen. Der Läufer Nisus verhilft, an der Spitze liegend, aber kurz vor dem Ziel auf Opferblut ausrutschend seinem Freund Euryalus zum Sieg, indem er den bis dahin Zweitplazierten im Aufstehen zu Fall bringt. Weniger das Ergebnis als die Umstände und der „zweifelhafte Dienst“ (Büchner), den Nisus seinem Freund erweist, verleihen dieser Stelle in der Aeneis ihre Besonderheit (Text 6: VV. 286 – 339).  

Teil 3 „Siegerehrung” mit dem Textauszug 7 (VV. 340 – 361) schließt inhaltlich und thematisch unmittelbar an den vorhergehenden Text an. Aeneas´ Beschwichtigungen nach dem skandalösen Ausgang des Wettlaufs - er erklärt das Ergebnis für rechtens und versteht trotz der vehementen Proteste der Unterlegenen   mit seinem Verhalten der Empörung die Spitze zu nehmen - und seine großzügigen Siegergeschenke entsprechen der wahren Größe des von Vergil skizzierten großmütigen Herrscherbildes und zielen auch wieder auf die durchgängige Verherrlichung des Augustus in der Aeneis.

Den letzten Textauszug (Text 8) in Teil 4 „Rekordverdächtige Leistungen”   hat C. Plinius Secundus (23 – 79 n. Chr.) geschrieben, er stammt aus den Naturalis historiae libri (VII 84), einer Naturgeschichte in 37 Büchern. Diese Textpassage aus dem Buch VII, das speziell anthropologische Themen behandelt, zeigt, dass es im 1. Jhd. n. Chr. im Circus Maximus im Beiprogramm Laufdarbietungen gab, bei denen von Läufern ganz besonders außergewöhnliche Ausdauerleistungen aufgestellt wurden.

2.3 Hinweise zur konkreten unterrichtlichen Umsetzung

Die Arbeitsblätter zu den ausgewählten Textpassagen (s. Anlage) sind als DIN -A4 -Kopiervorlage vorgesehen und bieten für den Einsatz im Unterricht Vokabelangaben und knappe Sacherläuterungen. Informationen zum jeweiligen Autor und Werk müssen allerdings noch ergänzt werden.

Die lange Vergilpassage (Verg. Aen. V, 286 – 361) ist so aufgearbeitet, dass die Vorbereitungen zum Laufereignis (VV. 286 – 314, Text 6) und die Siegerehrung (VV. 340 – 361, Text 7), die den eigentlichen Wettkampf umrahmen, mit der deutschen Übersetzung von J. Götte (9) gelesen werden können. Der lateinische Text des spannenden Wettlaufs (VV. 315 – 339, Text 7) hingegen soll dann mit den Schülerinnen und Schülern übersetzt werden.

Wenn man sich als Lehrerin oder Lehrer dafür entscheidet, alle vorliegenden lateinischen Textpassagen im Unterricht zu übersetzen und zu besprechen, sind insgesamt ca. 7- 9 Stunden anzusetzen, also ungefähr drei Wochen Unterrichtszeit.

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/1 (2004), 77

Die ausgewählten Textpassagen können im Unterricht im Rahmen der Lektüre bei L I (Latein ab 5) in der Klasse 10, bei LII (Latein ab 7) in der 11 – 13, bei L III (Latein ab 9) ab der 12 eingesetzt werden. Die Schüler sollten jedoch wegen der Unterschiedlichkeit der Texte schon über ein wenig Lektüreerfahrung verfügen. Denn der gemeinsame rote Faden ist nur das Thema. Im Unterricht ist zu berücksichtigen, dass die unterschiedlichen Autoren aus verschiedenen zeitlichen Epochen und kulturhistorischen Umfeldern stammen und ihre Intention und ihre jeweilige Art zu schreiben für Schülerinnen und Schüler ein Problem darstellen können. Deshalb sind zusätzliche Erläuterungen und Hilfen unerlässlich.

In Hinblick auf die Wortschatzarbeit bietet es sich an, während der Lektüre eine Vokabelliste anzulegen, auf der alle das Laufen betreffenden Wörter unter den verschiedenen Gesichtspunkten „Training – Wettkampf – Siegerehrung“ gesammelt werden (u.a. cursor, certamen, currere, exercere, vincere, victoria, palma). Sie lassen sich dann gut mit einer Mind-Map oder an der Tafel strukturiert zusammenstellen und können so anschließend von den Schülerinnen und Schülern gelernt werden.

Außerdem sollten Sachinformationen zu den klassischen olympischen Spielen und zum Stellenwert der Laufveranstaltungen bei den Olympiaden im Unterricht behandelt werden. Als sehr hilfreich haben sich dazu folgende Veröffentlichungen erwiesen:

Umminger, Walter, Sportchronik – 5000 Jahre Sportgeschichte, Gütersloh/München 2000, 27- 41
Thuillier, J.-P., Sport im antiken Rom, Darmstadt 1999
Die Olympischen Spiele unter http://www.picolin.de/

Anlässlich der Sommerolympiade in Athen 2004 sind auch noch folgende Bücher zum Themenbereich „Olympische Spiele der Antike” aktuell erschienen:
Günther, Rosmarie, „Olympia”. Kult und Spiele in der Antike, Darmstadt 2004
Siebler, Michael, „Olympia”. Ort der Spiele, Ort der Götter, Stuttgart 2004
Sinn, Ulrich, „Das antike Olympia”, Götter, Spiel und Kunst, München 2004
Swadding, Judith, „Die Olympischen Spiele der Antike”, Stuttgart 2004

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/1 (2004), 78

Schließlich möchte ich noch anmerken, dass meine eigenen Erfahrungen in einer Klasse 10 (L I) und einem GK 11 (L II) mit den vorliegenden Textpassagen durchweg positiv gewesen sind. Vor allem der motivierende Aspekt unmittelbar vor einem sportlichen Großereignis wie den Olympischen Spielen ist bei Schülerinnen und Schülern nicht zu unterschätzen.

Jürgen Bertram
e-mail: Juergen.Bertram@t-online.de


Literaturangaben:

Die Olympischen Spiele, < http://www.picolin.de/ >
Nickel, R., Lexikon der antiken Literatur, Darmstadt, 1999
Pleticha, H. /Schönberger, O. (Hrsg.), Die Römer, München, 1977, 452 f.
Thuillier, J.-P., Sport im antiken Rom, Darmstadt 1999
Umminger, W., Sportchronik – 5000 Jahre Sportgeschichte, Gütersloh/München 2000, 32
Weeber, K.-W., Panem et circenses   Massenunterhaltung als Politik im antiken Rom, Mainz, 1994, 68 f.

(1) Pleticha, H. /Schönberger, O. (Hrsg.), Die Römer, München, 1977, 452 f.
(2) Mart. VII 32, 11; II 14, 3 ff.
(3) Weeber, K.-W., Panem et circenses   Massenunterhaltung als Politik im antiken Rom, Mainz, 1994, 68 f.
(4) Die Olympischen Spiele, http://www.picolin.de/
(5) vgl. Plinius, Naturalis historiae libri VII 84
(6) Umminger, W., Sportchronik – 5000 Jahre Sportgeschichte, Gütersloh/München 2000, 32
(7) R.A.B. Mynors, P. Vergili Maronis Opera, Oxford   4 1977 – Text 6 und 7 sind im Anhang zu finden.
(8) Nickel, R. Lexikon der antiken Literatur, Darmstadt 1999, 29
(9) Götte, J., Vergil Aeneis, München 1979, 124 ff.