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                                       Pegasus-Onlinezeitschrift V/1 (2005), 59

Martin Biastoch

Latein in der Grundschule

Seit drei Jahren gibt es in der Göttinger Albani-Grundschule Lateinunterricht. Latein ab Klasse 5 konnte  in Göttingen bisher  an der OS Luther-Schule und an der OS Bonifatius-Schule gelernt werden, beide Gruppen wurden im MAX-PLANCK-GYMNASIUM (MPG) zusammengeführt. Das neue niedersächsische Schulgesetz hat nun dazu geführt, dass alle Schüler, die ab Klasse 5 Latein als erste gymnasiale Fremdsprache lernen möchten, zum MPG kommen.

Seit dem Beginn der FrühLatein-AG an der Grundschule haben sich die Anmeldezahlen für Latein ab 5 am MPG etwa verdoppelt.

Ausgehend von der Beobachtung, dass die meisten Grundschüler kein Wissen um die römische Kultur und Sprache haben, sich aber noch in Klasse 4 zwischen Englisch und Latein für die Jahrgangsstufe 5 entscheiden sollen, ergab sich die Schlussfolgerung, diesen Schülern angemessene und fundierte Informationen über die Inhalte des Lateinunterrichtes anzubieten.

Die Leitung der Grundschule, die Grundschullehrerinnen und die Eltern­schaft der Albani-Schule begrüßten das Projekt. So begann der bundesweit wohl einzige regelmäßige Lateinunterricht an einer Grundschule – zwar als AG ohne Bewertung, dafür aber halbjährig und mit bis zu 26 Schülern der 4. Jahrgangsstufe. Sogar die ZEIT fand das erwähnenswert.

Als wichtig erwies sich ein Elternabend und ein Faltblatt mit Informationen zum „VorLatein“ und zur Bedeutung der lateinischen Sprache und Kultur für unsere heutige europäische Zivilisation. Denn die meisten Eltern der heute Zehnjährigen haben selbst keinen Lateinunterricht mehr genossen, oder – noch schlimmer – Latein“pauker“ mit Vorkriegspädagogik ertragen müssen.

Hier gilt es also, alte Klischees, die bei Eltern und Grundschullehrern noch sehr weit verbreitet sind, aufzubrechen, als unhaltbar zu erweisen und das gewonnene Territorium dauerhaft zu besetzen. Mit nachfolgendem Text wird erfolgreich für den Lateinunterricht an der Grundschule geworben:

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift V/1 (2005), 60

VorLatein in Klasse 4

„Die römische Zivilisation gilt als ein besonders erfolgreiches Modell für eine funktionierende multikulturelle Gesellschaft, in der Menschen mit verschiedenen Religionen und mit unterschiedlicher Hautfarbe Jahrhunderte lang friedlich zusammenlebten. In diesem Sinne ist die römische Zivilisation beispielhaft für unsere eigene Gegenwart und Zukunft.

Ferner: Latein einte Europa geistig, weil Gebildete von Lissabon bis St. Petersburg, von Oslo bis Palermo miteinander in lateinischer Sprache kommunizierten. Latein war für mindestens 1900 Jahre die zentrale Sprache in Europa. Es wurden erheblich mehr Texte und Bücher in lateinischer Sprache abgefasst als in Englisch oder Französisch.

Unter „Englisch“ als neuem Fach ab Klasse 5 kann sich in der heutigen Mediensituation jeder Schüler etwas vorstellen, nicht immer jedoch unter „Latein“, das zudem häufig noch mit den traditionellen, negativen Vorstellungen und „Erfahrungen“ der Elterngeneration belegt wird. Diesem Defizit muss entgegengewirkt werden, zumal moderne didaktische Konzepte im heutigen Lateinunterricht selbstverständlich sind. Durch die Vielfalt seiner Inhalte schlägt Latein im Sinne eines fächerübergreifenden Unterrichts Brücken zu vielen anderen Schulfächern.

Im Vordergrund soll für die Schüler der handlungsorientierte und informative Charakter stehen, während für die Eltern und Lehrer eher der diagnostische Aspekt im Hinblick auf die Sprachenwahl  für Klasse 5 Bedeutung gewinnt. Da Latein nur auf dem Gymnasium unterrichtet wird, sollten nur Kinder mit gymnasialer Perspektive Latein ab Klasse 5 wählen.

Vor der Sprachenwahl für Klasse 5 soll ein Beratungsgespräch mit Schülern und Eltern stattfinden, in dem der Lehrer seine Einschätzung deutlich macht.

Viele Englisch- und Französischlehrer bestätigen, dass lateinisch vorgebildete Schüler Englisch oder Französisch ab Klasse 7 besser und schneller lernen.“

Die Inhalte des Lateinunterrichtes im Primarbereich müssen sich an der Lebenswelt der Zehnjährigen orientieren, an ihren Interessen und Fähigkeiten. Hier wird jeder Kollege, der mit Grundschülern Unterricht versucht, erstaunt sein, wie langsam und noch unvollständig diese jungen Menschen grundlegende Kulturtechniken beherrschen. Bis 20 Schüler – durchaus intelligente Kinder -  drei einfache Sätze von der Tafel abgeschrieben haben, kann es schon einmal 25 Minuten dauern. Natürlich sind einige sehr schnell fertig, aber auch die anderen sollen mitkommen. Malen und Basteln kommt immer gut an, sollte jedoch der Themenvielfalt wegen nicht übertrieben werden.

Man hüte sich vor grammatischer Metasprache! Das verstehen Grundschüler nicht, wenn nicht bereits im Deutschunterricht der 4. Klasse die wichtigsten Begriffe eingeführt wurden.

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift V/1 (2005), 61

Bei der Behandlung der Themen werden an der Tafel oder über Arbeitsblätter die in diesem Zusammenhang vorkommenden lateinischen Begriffe und ihre deutschen Entsprechungen – vielfach also Fremd- oder Lehnworte – festgehalten. Leicht können Schüler so 20 lateinische Worte in einer Stunde sammeln und nach bestimmten Gesichtspunkten ordnen („Worte, die zur a-Familie gehören; Worte, die auf – us enden“).

Arbeitsergebnisse sollen für die Schulöffentlichkeit auf Stellwänden und auf der Homepage der Schule veröffentlicht werden.

Materialien können aus den Anfangskapiteln verschiedener Lateinbücher entnommen werden, weitere Anregungen (1) bieten folgende neuere Publikationen für den Primarbereich:

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift V/1 (2005), 62

- Philip Ardagh: Detektiv im alten Rom, mit Bildern von Colin King, München 2001
- Philip Ardagh: Detektiv im alten Griechenland, mit Bildern von Colin King, München 2001
- Laurie Carlson: Wie spielen Griechen und Römer? Eine Mappe zum Basteln, Malen, Kochen, Spielen, Lernen, Mülheim 2000
- Peter Conolly: Die alten Griechen, Nürnberg 2001
- Peter Conolly: Die alten Römer, Nürnberg 2001
- Peter Crisp: Die Römer und ihre Welt, Nürnberg 2001
- Heide Huber: Lernspiele Römerzeit, Mülheim 1999
- Heide Huber: Projektmappe Römerzeit, Mülheim 2001
- Das große pop-up-Spiele-Buch. Griechische Sagen, illustriert von Brian Lee, Hamburg 2001
- Roswitha Tewes-Eck, Erich Dunkel: Lernerlebnis. Griechische Antike, Paderborn 1999
- Roswitha Tewes-Eck, Erich Dunkel: Lernerlebnis. Römische Antike, Paderborn 2000

Um den Lateinunterricht ab Klasse 5 weiter auszubauen, müssen Lateinlehrer in den Grundschulen aktiv werden. Es ist von großer Wichtigkeit, die Grundschulen des Einzugsbereiches eines Gymnasiums anzusprechen! Bieten Sie Informationsstunden, Elternabende, Faltblätter und Probestunden an.

Weisen Sie in diesem Zusammenhang darauf hin, dass führende Entwicklungspsychologen (Prof. Mönks, Njimwegen, und Prof. Hasselhorn, Göttingen) betont haben, dass Latein als erste gymnasiale Fremdsprache gerade für intelligente – also gymnasialfähige – Kinder besonders empfehlenswert ist.

In vielen Grundschulen werden Sie mit offenen Armen empfangen werden, zumal das neue Schulgesetz eine engere Kooperation zwischen Grundschulen und den weiterführenden Schulen buchstäblich vorschreibt. Die Ausgangslage ist also günstig für den Ausbau des grundständigen Lateinunterrichts ab der 5. Jahrgangsstufe. Das gilt auch, wenn Latein ab Klasse 5 an Ihrem Gymnasium noch nicht eingeführt ist. Der Einsatz lohnt sich sicher.

Und man bedenke: die heutigen Lateiner in Klasse 5/6 können die Griechischschüler von morgen sein.

 

Dr. Martin Biastoch
Wöhlerstr. 4
37073 Göttingen
Tel: 0551/37075741
Fax: 01212-5-124-09-662
biastoch@web.de

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(1) Diese Publikationen sind von unterschiedlicher Qualität, vgl. Biastoch, Martin: Neue Jugendbücher und Unterrichtsmaterialien zu Griechen und Römern, in: AU 3+4/2002, S. 109-111.