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Bernd Linke (unter Mitarbeit von Jakov Lozar)

Ein Lateinfest an der Paulsen-Oberschule Berlin


Das Fest

Die überfüllte Schulaula tobt. Getrieben von einer Auktionatorin, die auf der Bühne hinter dem Mikrofon gestikuliert und unablässig redet, treiben zwei Bietergruppen den Preis immer höher. Die Bietergruppen, die Auktionatoren und der größere Teil des Publikums, das gewiss an anderer Stelle der Veranstaltung als Bieter aktiv werden wird, sind mit Tuniken bekleidet, wenige haben sogar eine Toga umgelegt, einige junge Damen tragen die elegante Frauenkleidung und die komplizierten Frisuren des 2. Jahrhunderts n. Chr. Dazwischen sitzen erkennbar einfach und fremd gekleidete Sklaven – ebenso wie die Ware, die auf der Bühne feilgeboten wird: Von grimmigen Wächtern eingekreiste, teils furchtsam, teils trotzig blickende Sklaven erkennbar germanischen, kaledonischen, orientalischen Ursprungs. Schließlich resigniert eine Bietergemeinschaft. Zufrieden holt ein Mitglied der Gens Licinia den erstandenen Sklaven ab, hängt ihm die Eigentümermarke um und zahlt vor einer misstrauisch blickenden Kassenwartin den Preis. Er zahlt in Euro. Die wenigen notwendigen Worte fallen in deutscher Sprache. Der Sklave unterrichtet sonst Physik und Informatik, unter anderem auch die Mitglieder der Gens Licinia – die Lateingruppe der 9a. Während der Sklave sich zwischen seine neuen Eigentümer setzt und gutmütig die foppenden Bemerkungen von Schülern in Jeans-und-Turnschuh-Einheitstracht – keine Lateinschüler mehr, sondern Gäste der Veranstaltung, „Franzosen“ -, beginnt vorn auf der Bühne die Versteigerung der Fachleiterin Musik. Wir befinden uns in der Paulsen-Oberschule (Gymnasium) in Berlin-Steglitz. Es ist Vormittag, Unterricht findet nicht statt. Die Lateiner der Schule feiern ihr 6. Lateinfest, und fast alle „Franzosen“, Schüler, die nicht Latein lernen, nehmen mit ihren Lehrern gern teil.

Nach der Sklavenauktion werden Lateiner, Franzosen und andere Gäste auf den Schulhof ziehen. Dort haben während der Sklavenauktion einige Schüler die Marktstände bewacht, auf denen am Morgen die Lateingruppen der Schule römische Speisen ausgebreitet, Preise notiert und die Kasse geordnet haben. Die Schulgemeinschaft wird sich zu entscheiden haben zwischen Aeneas-Pizza, Moretum, Sala Cattabia, „Glires“ und anderen, in Anlehnung an Apicius und mit Unterstützung der Eltern vorbereiteten römischen Gerichten. Dann wird der Fachbereichsleiter Sport, der ebenfalls Latein unterrichtet, auf den benachbarten Sportplatz bitten. In der Mitte eines großen Rundes von

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Zuschauern werden sich Gladiatoren duellieren. Aber man kann sich auch ganz unrömisch in großen Mannschaften im Tauziehen üben. Im letzten Teil des Festes wird die Schulgemeinschaft, vorbei an kleinen Ausstellungen zu Themen, die die Sklaverei berühren, wieder in die Aula ziehen, zunächst nachdenklich eine szenische Aufführung von Senecas 47. Brief sehen und abschließend sich an einem von einer Schülergruppe selbst gefertigten Theaterstück amüsieren – Mythentravestie.

   

 

Elemente des Festes

Thema

Am Anfang jeglicher Planung des Festes steht die Formulierung des Mottos. Es handelt sich dabei nicht um einen beliebigen Titel, sondern um den Rahmen der vielfältigen Aktionen vor und während des Festes. Das Lateinfest des Jahres 2003 steht unter dem Titel: „Herren und Sklaven“. Dieses Motto formt einzelne Sequenzen des Festes, so die „Sklavenauktion“, es ist aber auch gleichzeitig Programm für die sachkundliche Arbeit aller Lateingruppen der Schule im halben Jahr vor dem Fest. Andere Elemente des Festes wiederum haben mit dem Titel nichts zu tun, sondern erklären sich aus Notwendigkeiten einer Festdramaturgie und der Spezifika der Tradition von Lateinfesten an unserer Schule.

Festdramaturgie

Ein Schulfest hat eigene Formen. Sind solche Formelemente, die sich an regelmäßige, das säkulare oder das Kirchenjahr bestimmende Ereignisse binden, durch eine lange Festtradition festgelegt und gestatten nur geringe Variationsmöglichkeiten – man denke an Schulweihnachtsfeiern oder Sportfeste im Rahmen der Bundesjugendspiele –, so scheinen Veranstaltungen wie ein Lateinfest frei gestaltbar. Indes, nicht nur räumliche, zeitliche und schulorganisatorische Schranken mahnen zu

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einer deutlichen planerischen Präformierung des Festes. Auch die Erwartungen der Schüler, spätestens aus der Erinnerung nach erstmaliger Durchführung eines solchen Festes, lassen es geraten erscheinen, den Festverlauf vorzustrukturieren, offene Elemente räumlich und zeitlich einzugrenzen und den Teilnehmern eine Geschichte zu erzählen und Rollenangebote zu machen – eben den Festverlauf als Theater zu begreifen und dramaturgisch zu gestalten. Die Übergänge zwischen einzelnen Elementen, die Bewegung der Massen auf der Bühne Schule von einem Standort zum nächsten, die Angebote, ja geschickt getarnten Zwänge, in eine Rolle zu schlüpfen und mitzuspielen, müssen sehr genau und mit engen zeitlichen Vorgaben vorher festgelegt werden. Wird diese dramaturgische Planung unterlassen, wird ein Teil der Schüler schnell beginnen, sein eigenes Spiel zu spielen – in leeren Klassenräumen, auf entlegenen Fluren, auf den Toiletten, im Winkel neben dem Schuleingang. Variation der Aktionsformen, Wechsel von enger Kontrolle (Aulaveranstaltungen) und freieren Bewegungs- und Handlungsmöglichkeiten (Hofveranstaltungen), Erfahrung von Sinnlichkeit (Essen, Trinken, Schauen), Körperlichkeit (Wettkämpfe) und geistigem Anspruch (Entscheidungsstress bei der Auktion, geistige Anregung in den abschließenden Aufführungen) sind damit Planungsprinzipien, die zu vernachlässigen fahrlässig wäre. Vor allem darf das Fach Latein sich nicht scheuen, sich im Fest auch durch grob-witzige und derb-sinnliche Elemente zu repräsentieren – um den Ruf, geistig anspruchsvoll und anstrengend-skrupulös zu operieren, müssen wir uns nicht sorgen; den haben wir seit jeher.

Der Marktplatz

Der Marktplatz mit dem Angebot römischer Speisen ist gerade im Hinblick auf die integrative Wirkung des Lateinfestes schlechthin nicht wegzudenken: Sinnlichkeit und Kommunikation, Essen und Plaudern bilden inzwischen das wirkmächtige Zentrum der Institution „Lateinfest“. Den Lerngruppen werden nach Diskussion und Absprache Angebote und Rezepte zugewiesen. Sie organisieren selbstständig die Bereitstellung des Angebots, Preisgestaltung und Verkauf. Die Anbieter müssen nach Abschluss des Festes abrechnen. Möglicherweise findet das Angebot zu wenige Interessenten, möglicherweise erliegt die anbietende Lerngruppe einer Fehlkalkulation, möglicherweise macht eine Anbietergruppe Verluste: Um zu verhindern, dass eine Lerngruppe kollektiv der Idee Lateinfest enttäuscht den Rücken kehrt, weil sie draufzahlen musste, entrichtet jede Lerngruppe 25% des Gewinns in einen Ausgleichsfond, aus dem Verluste derjenigen Gruppen, die schlecht gerechnet oder einfach nur Pech hatten, ausgeglichen werden.

Was wird auf dem Schulhof angeboten? Um das Fest zu einem Erfolg werden zu lassen, müssen Einsatz und Organisationsfähigkeit der Schüler und natürlich auch der Eltern aktiviert werden. Die Schüler (und ihre

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Eltern) bereiten die Speisen vor, nicht gastrologische Spezialisten mit altertumswissenschaftlichem Interesse.

Die Speisen müssen genügend Abnehmer finden. Abnehmer sind Schüler der McDonald-Generation, die eng dimensionierte Ekel-Schranken kultivieren und sich gruppendynamisch auch über der Küchenkritik positionieren (jeder Kollege, der mit seiner Klasse eine Jugendherberge bezogen hat, kennt diese Mechanismen).

Die Anbieter müssen auch kalkulatorisch auf die Kosten kommen. Der Ausgleichsfond dämpft immerhin die ärgsten Enttäuschungen. Trotzdem können die Aufwendungen nicht ins Ungemessene gehen. Die Schüler sind im Allgemeinen bereit, auch einmal etwas Neues zu probieren, doch setzen sie sich klare Ausgabenbudgets. Aufwendige Angebote lassen sich nur über Sponsoring realisieren: Auf dem Lateinfest 1999 bot eine Gruppe eine gewaltige Schüssel von Wachteln in Rotwein an – sowohl im Ansatz als auch nach der Art der Zubereitung eines Essens vor 1800 Jahren würdig. Doch war dies nur eine Spende eines Kochprofis aus der Elternschaft. Eine wohlkalkulierte Portion darf nach unserer Erfahrung nicht teurer als 1,50€ sein – das schränkt das Angebot ein.

Die Paulsen-Oberschule hat keine große unterrichtstaugliche Küche – ebenso wenig wie die meisten anderen Gymnasien. Die Anbieter können ihre Speisen nicht frisch und nicht heiß zubereiten. Wir bieten also kalte Platten an.

Trotz all dieser Einschränkungen sind den Schülern Experimente der Annäherung an die römische Küche durchaus möglich. Zunächst negativ: Allen Schülern wird frühzeitig in der Vorbereitung des Festes klar gemacht, über welche landwirtschaftlichen Produkte die Römer keinesfalls verfügten – auch eine Lektion in der Geschichte des Welthandels. Dann aber positiv: Nicht nur einige Süßspeisen, sondern auch einige kalte Gemüsegerichte des Apicius eignen sich nach allen o.a. Kriterien für ein Angebot auf lateinischen Schulfesten. Geradezu Klassiker sind die Aeneas-Pizza (s. Verg. Aen. 7, 107ff.) – eine frei gestaltbare tomatenlose und fleischlose Pizza – und das Moretum (aus der Appendix Vergiliana). Und dann Glires: Die müssen natürlich simuliert werden, doch gibt dies den Schülern Gelegenheit, mit stark gewürztem Hackfleisch, Teig und anderen Zutaten schöpferisch (auch hinsichtlich der äußeren Form) tätig zu werden.

Wettkampf

Welche Bedeutung Körperlichkeit und Sinnlichkeit für die Festdramaturgie eines Lateinfestes haben, ist oben dargelegt worden. Mit welcher Leidenschaft Mittelstufenjungen, die sonst ‚ultracool‘ im Gestühl hängen oder über die Flure schlurfen, beim Fußball oder Basketball miteinander kämpfen, kann jeder in der Schule Tätige allvormittäglich beobachten. Diese Potentiale verbissener Begeisterung, zu der natürlich auch Mädchen jederzeit fähig sind, werden auf dem Lateinfest durch verschiedene

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Wettkampfarten aktiviert. Hierzu zählen das Tauziehen, das zwar mit dem Lateinunterricht nichts zu tun hat, sich jedoch bei unseren Schülern traditionell großer Beliebtheit erfreut, und die Gladiatorenkämpfe. Diese wurden für ein Lateinfest mit dem Titel „Panem et Circenses“ (auf dem es auch hinreißende Wagenrennen gab!) entwickelt, von den Schülern gern angenommen und seitdem regelmäßig in das Fest integriert.

Blut fließt allerdings nicht: Den Kampfplatz bildet ein Schwebebalken, die Waffen sind schwer gepolsterte Säcke und Stangen, und der Verlierer ist nicht der mit den schwereren Verletzungen, sondern derjenige, der als erster von der Planche fällt. Im K.O.-System wird der Schulsieger ermittelt. Das Publikum sitzt auf dem Schulsportplatz zu Hunderten im weiten Kreis. Tribünen sind nicht nötig – der Kampfplatz ist ja erhöht.

Theater

Das Lateinfest insgesamt ist Theater, alle Schüler sind Schauspieler – wie oben dargelegt. Aber auch im engeren Sinne findet während des Lateinfestes traditionell Theater statt: In recht gebundenem, teilweise festgelegtem, dennoch variablem Ablauf meist am Anfang des Festes – die Festdramaturgie muss plausibel gemacht werden – und immer in Form einer Schüleraufführung am Ende des Festes. Das konnte auf einem früheren Fest schon mal die Aufführung der Mostellaria des Plautus sein, ist aber häufiger ein von Oberstufenschülern selbst entwickeltes und inszeniertes Stück oder eine Folge von Szenen, wobei diesmal Passagen aus Ovids Metamorphosen die Vorlage zur Mythentravestie bildeten.

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Lateinfest und Lateinunterricht

Der Vormittag des Lateinfestes ist „die Spitze des Eisberges“: Die Schüler, Lehrer und Gäste genießen die Annehmlichkeiten, die Eindrücke, das Außergewöhnliche des Festes innerhalb weniger Stunden am Ende eines Schuljahres. Die Durchführung des Festes sockelt aber auf zeitlich und sachlich tief greifenden Fundamenten. Ein Teil dieses Fundamentes ist die Festtradition. Unmittelbar einsichtig ist für jeden, der das Fest beobachtet, auch, dass viel Organisationsarbeit nötig ist, um das Fest zu einem Erfolg werden zu lassen. Wenig evident scheint die Verankerung des Festes und seiner Elemente im Lateinuntericht.

Organisation

Die erfolgreiche Durchführung des Festes erfordert zwingend das Engagement von Schülern und Eltern. Dies ist nicht nur im Allgemeinen so plausibel wie der triviale Satz, dass Schule nur gelingen kann, wenn Lehrer, Schüler und Eltern kooperieren, sondern schlägt sich auch konkret im Planungs- und Organisationsdesign nieder. Das Berliner Schulverfassungsgesetz sieht als Ort fachgebundener Kooperation von Lehrern, Eltern und Schülern die Fachkonferenz vor. An der Paulsen-Oberschule kooperieren unter dem Dach der Fachkonferenz Latein nicht nur in den vorgesehenen Sitzungen, sondern auch im Rahmen informeller Gespräche und Kontakte Lehrer, Eltern und Schüler seit vielen Jahren effektiv und harmonisch. Die entscheidende Feinplanung muss zwar durch die Lehrer erfolgen, doch sind von der Fixierung des Themas über die den Klassen zugewiesenen Einzelthemen, die kreative Fortentwicklung des Konzepts bis zur Auslagerung von vielen Elementen der Planungsoperationalisierung und natürlich der Ausführung der Elemente des Festes Schüler und Eltern – nicht nur die Vertreter in der

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Fachkonferenz! – in die Vorbereitung integriert. Diese integrative Planung konkretisiert sich in vielen 5-Minuten-Sequenzen in den Lateinstunden, in Sitzungen der Fachkonferenz, in 4-, 6- oder 8-Augen-Gesprächen auf dem Flur, in der Cafeteria, wo auch immer engagierte Eltern, Schüler und Lehrer sich treffen mögen. Und das Konzept ist bis wenige Tage vor dem Festtermin noch veränderbar, Ideen und Wünschen sowohl des Fachleiters als auch des Quartaners gegenüber offen. Dies ist weder trivial noch illusionsbesonnt: Ohne eine solche vertrauensvolle Kooperation, ohne ein Konzept offener Planung wäre die Organisation eines die ganze Schule einbindenden Festes durch die 3, theoretisch 4 Kollegen, die die Lehrbefugnis im Fach Latein haben, nicht zu leisten.

Das Fest des Jahres 2003 hat der Paulsen-Oberschule eine aussichtsreiche organisatorische Neuerung beschert: Erstmals haben wir mit der benachbarten Fichtenberg-Oberschule (Gymnasium) vom ersten Stadium der Organisation bis zur gemeinsamen Durchführung kooperiert. Mit der Fichtenberg-Oberschule organisiert unsere Schule seit knapp 20 Jahren eine gemeinsame gymnasiale Oberstufe – es ist endlich Zeit gewesen, auch einmal gemeinsam das Lateinfest zu feiern, auch wenn die Lateingruppe des Nachbargymnasiums quantitativ viel kleiner ist.

Fest und Unterricht

Dass der Lateinunterricht aufgrund des Bildungsziels und hermeneutischer Erfordernisse die Behandlung sachkundlicher Elemente integrieren muss – von antiker Geschichte über Mythologie, Religion, Wissenschaft, Philosophie, Kunst bis zur Alltagskultur und zum Nachleben der Antike bis heute – ist fachdidaktisch akzeptiert und wird in unterschiedlicher Gewichtung in den Kollegien umgesetzt. Die Verteilung sachkundlichen Stoffes über den Lateinkurs mag einem großen Plane gehorchen, Schülerinteressen integrieren oder den Vorgaben des benutzten Lehrbuches folgen. An der Paulsen-Oberschule determiniert das Lateinfest durch die Setzung des Festmottos größere Teile der sachkundlichen Arbeit. Die Schüler sollen sich mit den antiken Korrelaten der Festelemente und der thematischen Hintergründe, die sich aus der Wahl des Festmottos ergeben, auseinandersetzen. Und in der Oberstufe entscheidet im zweiten Halbjahr des Jahres das Thema des Lateinfestes auch die Auswahl des Kursthemas bzw. die Auswahl der Lektüretexte. So suchte die Kollegin, die im Basiskurs der 11. Klasse unterrichtete, die Sequenzen aus Ovids Metamorphosen im Hinblick auf ihre Verwendbarkeit auf der Bühne und für Zwecke der Mythentravestie aus; der Kollege, der den Grundkurs der 12. Klasse betreute, wählte natürlich das Kursthema „Sklaverei“. Nach der Fixierung des Festmottos wurden einzelne Aspekte des Themas ausformuliert und jeweils bestimmten Klassenstufen zugewiesen. In diesen Klassenstufen wurde die sachkundliche Arbeit besonders des 2. Halbjahres durch dieses Thema bestimmt. Die Ergebnisse des sachkundlichen Arbeit werden kurz vor dem Fest von den

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Lerngruppen, soweit dies sachlich möglich ist, in Form von kleinen Ausstellungen in der Schule präsentiert. Aber auch das Erfordernis, sich einzukleiden, Speisen vorzubereiten und ggf. auf der Gladiatorenplanche zu kämpfen, führt die Schüler dazu, sich intensiv mit Einzelheiten antiker Alltagskultur zu beschäftigen. Die Verbindlichkeit dieser Arbeit wird dadurch gesteigert, dass die letzte Lateinarbeit des Jahres in den Klassen 7 bis 10 einen festthemenspezifischen sachkundlichen Schwerpunkt haben soll.

 

Tradition und Funktion

Das diesjährige Lateinfest ist das sechste Fest dieser Art an der Paulsen-Oberschule: Seit 1991 feiern wir mit einer Unterbrechung in zweijährigem Rhythmus. 1991 veranstalteten wir, damals noch im Februar, ein „Saturnalienfest“. Nachdem 1993 kurz vor dem vorgesehenen Termin ein Lateinfest unter dem Titel „Spätantike – Barbaren und Säulenheilige“ aus schulpolitischen Gründen abgesagt wurde, setzten wir die Folge der Lateinfeste 1995 unter dem Titel „Das Buch in Antike und Mittelalter“ fort. 1997 feierten wir „Panem et circenses“, 1999 „Rom und Europa“ und 2001 „Ein Kampf um Rom“ (Römer und Germanen).

Ein Lateinschüler der Paulsen-Oberschule kann also in seiner Schullaufbahn von der 7. bis zur 13. Klasse 4 Feste mitfeiern. Hat der Schüler einmal sein erstes Lateinfest erlebt, so gerinnen diese Erfahrungen zu Erwartungen. Diese werden in den zweijährigen Zwischenräumen durch Vorführungen von filmischen Dokumentationen früherer Feste in den lateinischen Lerngruppen angereichert. Diese durch Anschauung abgesicherten Erwartungen schränken Gestaltungsmöglichkeiten ein – das Fest anders als gewöhnlich zu gestalten wird zumindest riskanter -, sie entlasten jedoch auch den Organisator: Gewisse Routinevorgänge des Festes vollziehen sich ohne großen Kontrollaufwand, Verhaltensregeln, auch Orte regulierter Abweichung sind den Schülern vertraut: Sie haben ja Erfahrungen in Erwartungen transformiert, sie haben gelernt. Für solche Prozesse wird gewöhnlich der Begriff der Tradition(sbildung) bereitgehalten.

In der Tat ist das Lateinfest inzwischen Schultradition und entfaltet alle entsprechend positiven Wirkungen: Integration nach Innen und Profilbildung nach Außen, konkreter: Die Lateinschüler der Paulsen-Oberschule erfahren sich, allein schon durch Kostümierung, altersstufenübergreifend als Gruppe, zunächst in Abgrenzung zu den anderen Schülern („den Franzosen“). Die Lateinschüler der 7. und 8. Klassen können sich erstmals konkret als Mitglieder einer größeren Gemeinschaft, der Latinisten der Schule, erfahren, die „Franzosen“ des 7. und 8. Jahrganges erhalten konkrete Informationen, worauf Latein als 3. Fremdsprache auch hinauslaufen könnte, und die Schulgemeinschaft nimmt am Ende des Schuljahres, unmittelbar vor den Notenkonferenzen,

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dankbar die Gelegenheit wahr, sich einen Tag fallen lassen zu können, mitzufeiern und in zwei weiteren Gedankengängen diese positive Erfahrung dem Fache Latein zuzuschreiben (das Schuljahr kennt Sitzungen des Finanzausschusses) und sich auf das nächste Fest in zwei Jahren zu freuen. Profilbildung nach Außen: Die an Schuldingen interessierte regionale Öffentlichkeit identifiziert die Paulsen-Oberschule nicht nur als Schule mit exotischem Schulgarten und englischer Profilklasse, sondern auch als „die Schule mit dem Lateinfest“. Latein wird als 2. Fremdsprache im südwestlichen Berlin nur selten angeboten. Die Attraktivität dieses Angebots erfährt für die Grundschulen unseres Einzugsgebiets durch das Lateinfest einen zusätzlichen Glanz.

Das Fach Latein ist an der Paulsen-Oberschule auf einem guten Wege. Erstmals seit 30 Jahren entschieden sich im Schuljahr 2003/2004 mehr Quartaner für Latein als für das Alternativangebot Französisch. Die Institution unseres Lateinfestes mag ihren Teil zu dieser positiven Entwicklung beigetragen haben.
 

Bernd Linke, Tempelhofer Damm 6, 12101 Berlin