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                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/2 (2004), 50

Angelika Lozar

Prof. Dr. I Deug-Su (1938-2004) – Ein Nachruf


Als in der Ausgabe 1/2003 der Pegasus-Onlinezeitschrift der Beitrag „Europa-Vorstellungen im Mittelalter“ von Prof. Dr. I Deug-Su erschien, ahnten weder die Herausgeber noch auch der Autor selbst, dass diese Publikation eine seiner letzten sein sollte. Bereits damals war I Deug-Su schwer erkrankt, am 12. Februar dieses Jahres ist er in Siena den Folgen seines Leidens erlegen.

Seit 1996 wirkte I Deug-Su, Lehrstuhlinhaber für Mediävistische Studien an der Universität von Arezzo, als Gastprofessor am Seminar für Mittellateinische Philologie der Freien Universität Berlin, an dem er sich jedes Jahr für mehrere Monate aufhielt. Hier widmete er sich vor allem seinen Forschungen zur mittelalterlichen Europa-Vorstellung, deren Ergebnisse er in zahlreichen grundlegenden Beiträgen veröffentlicht hat. Seine letzte Arbeit zu diesem Thema, welche die Bedeutung des frühmittelalterlichen Missionars Winifred-Bonifatius für die Entwicklung der mittelalterlichen Europa-Konzeption untersucht, erschien wenige Tage nach seinem Tod.

Einen weiteren Schwerpunkt seiner Studien bildete die lateinische Hagiographie seit der Spätantike. Auf diesem Gebiet ist er u.a. durch wegweisende Untersuchungen zu Bernhard von Clairvaux und Bonaventura da Bagnoregio hervorgetreten. Die mittelalterliche lateinische Hagiographie veranlasste ihn aber auch dazu, sich in seinen letzten Lebensjahren der im Westen immer noch weitgehend unbekannt gebliebenen Literatur seiner Heimat Südkorea zuzuwenden und diese in Europa bekannt zu machen. In der Reihe „Collana“ veröffentlichte er in rascher Folge koreanische Dichtung und Prosa aus den letzten drei Jahrhunderten und gründete außerdem an der Universität von Arezzo das Centro interdipartimentale di studi comparati italo-coreani. Für diese Bemühungen wurde er im Jahr 2003 von der Republik Südkorea als bester koreanischer Humanismus-Forscher ausgezeichnet.

In den Jahren seiner Berliner Gastprofessur lernten viele Kollegen und Studenten in I Deug-Su jedoch nicht nur eine beeindruckende Gelehrtenpersönlichkeit mit breit gefächerten Forschungsinteressen und –aktivitäten kennen, die sich in vielen Publikationen, Vorträgen und Seminaren manifestierten, sondern auch einen faszinierenden Menschen und Freund – „nobile di spirito, fedele nell'amicizia e nel rispetto“, wie es der italienische Mediävist Claudio Leonardi in seinem Nachruf (vgl. Mittellateinisches Jahrbuch, Band 39, 2004, 2. Halbband) so treffend formuliert hat.

Vielleicht war es die besondere Verbindung von Asiatischem und Europäischem – Buddhistischem und Christlichem - in ihm, die seine Wirkung auf andere Menschen ausmachte und der man sich kaum entziehen konnte.

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/2 (2004), 51

Mir persönlich hat er einmal erzählt, dass er seinen Militärdienst in Korea nur deshalb ertragen konnte, weil er zufällig auf eine Ausgabe der „Laudes creaturarum“ des heiligen Franz von Assissi stieß. Er habe diese immer wieder gelesen und dadurch die Kraft gefunden, das „Martyrium“ des Wehrdienstes zu überstehen.   Unmittelbar danach habe er sich entschlossen, in Italien zu studieren, was ihm 1967 durch ein Stipendium ermöglicht wurde.

Im Laufe der fast 40 Jahre, die I Deug-Su von da an in Europa – Italien und Deutschland – gelebt hat, hat er für sich selbst eine fruchtbare Synthese zwischen seiner asiatischen Herkunft und seiner europäischen Lebensform gefunden. Er hat den Reichtum beider Kultur- und Lebenstraditionen in sich aufgenommen, daraus etwas Neues geschaffen und den Menschen, die mit ihm zu tun hatten, die Möglichkeit gegeben, an diesem Reichtum Anteil zu nehmen und dadurch zu neuen Perspektiven zu gelangen. Bei allen diesen Menschen hat sein allzu früher Tod eine Lücke hinterlassen, die nicht zu schließen ist.


Dr. Angelika Lozar, Sfb Kulturen des Performativen, Freie Universität Berlin