|
|
|
|
Pegasus 3 / 2002
Wie man die Bakchen tanzen lässt Bühnenmusik zu Euripides
Der Weg
des Dionysos von Kleinasien nach Theben, in die Heimatstadt seiner
Mutter Semele, ist ein Siegeszug des neuen Kultes. Überwältigt von der
Faszination des Gottes und der von ihm eingeführten Lebensform
schließen sich im Frauen aus allen Ländern an, durch die er reist.
Sein Ziel ist es nun, für die Vernachlässigung des Andenkens seiner
Mutter am thebanischen Königshaus Rache zu nehmen, die thebanischen
Frauen zu bekehren und den Widerstand des Königs Pentheus, seines
Vetters, gegen den neuen Kult zu brechen. Während die Handlung der
Tragödie den Kampf der beiden Widersacher Dionysos und Pentheus sowie
den allmählichen Weg des Letzteren ins Verderben schildert, haben die
Chorlieder der Bakchen nicht nur eine kommentierende Funktion, sondern
auch eine eigenständige, neben der Haupthandlung gleichberechtigte
Aussage2. Sie veranschaulichen das Wesen des
Bakchoskultes und das Denken und Fühlen der von Dionysos in Ekstase
versetzten Frauen. Dionysos’ Erfolgsgeheimnis ist das mit tief
empfundener Religiosität gepaarte anhaltende Glücksgefühl3,
mit dem er seine Anhängerinnen begabt. Die ekstatische Freude, Das Wichtigste ist also zunächst, die irrationale Begeisterung, die den Dionysoskult für die Frauen Asiens und Griechenlands so unwiderstehlich macht, in der Inszenierung zu verdeutlichen. Hier liegt ein wichtiges Problem für die musikalische Gestaltung der Chorlieder, denn wenn man versucht, Musik und Aufführungspraxis historisch getreu zu rekonstruieren, kommt etwas dabei heraus, was ein modernes Publikum nicht fesselt, sondern zusätzliche Distanz schafft: ein von wenigen Instrumenten (vielleicht einer Flöte und einem Tympanon) begleiteter einstimmiger Gesang in für heutige Hörgewohnheiten fremden Skalen und in einem Rhythmus, der sich in modernes Taktempfinden nicht einpassen lässt, der skandiert, monoton, langweilig, vielleicht sogar bereits bedrohlich wirkt an einer Stelle, wo dies noch gar nicht intendiert ist. Und so einer schauerlichen Gruppe soll man sich anschließen wollen? – Nein, Musik und Tanz sind mit das Wichtigste am Dionysoskult. Ekstatischen Tanz aus religiösen Gründen oder nur zum Vergnügen gibt es zu allen Zeiten und in allen Kulturen, nur hat jede ihren eigenen Stil4. Daher sollte man hier Anklänge an moderne Unterhaltungsmusik nicht scheuen: Das wichtigste ist, dass das Publikum am liebsten mittanzen möchte. Dabei kann das antike Metrum durchaus helfen, auch bestimmte Rhythmen sind zeitlos.
Als Beispiel sei hier die Epode der Parodos vorgestellt. Für sie habe ich, wie übrigens für das Prooimion und als Leitmotiv der Bakchen, einen 6/8-Takt gewählt, der die Möglichkeit wechselnder Aufteilung in 2x3 und 3x2 Schläge bietet und dadurch geeignet ist, um Ausgelassenheit und wildes Tanzen zu vermitteln; man denke an Dvořaks Slawischen Tanz Nr. 8 oder Bernsteins “I want to be in America”. Der ekstatische Tanz endet in einem daktylischen Rhythmus, für den die Musik in einen 2/4-Takt wechselt, um die Musik mit crescendo und accelerando, dem Text entsprechend, auf ihren Höhepunkt zu führen.6 Ob das Experiment gelungen ist oder nicht, davon mag der Leser sich nun selbst überzeugen.
Übersetzung Vergnügen bringt es, wenn einer in den Bergen nach hinstürmendem Lauf des Thiasos zu Boden fällt, bekleidet mit dem heiligen Hirschkalbfell, auf der Jagd nach dem Blut des getöteten Bockes und dem Genuss rohen Fleisches, eilend in die phrygischen, lydischen Berge; aber der Anführer ist Bromios. Euhoi! Die Erde fließt über von Milch, fließt über von Wein, fließt über vom Nektar der Bienen. Wie den Rauch des syrischen Weihrauchs so lässt Bakchos die hell brennende Flamme der Tannenfackel aus dem Narthex emporsteigen, stürmt dahin und treibt die Umherschweifenden an zu Lauf und Tanz und feuert sie an zu lautem Geschrei, die üppigen Locken hoch in die Luft werfend. Und gleichzeitig lässt er in brausendem Jubelschrei ertönen: "Auf, ihr Bakchen, auf, ihr Bakchen, ihr Zierde des Goldstaub bergenden Tmolos, feiert mit Gesang Dionysos unter dumpf dröhnendem Paukenschlag, ruft ‚Euhoi‘ und preist den Gott, der so bejubelt wird, mit phrygischen Ruf und Geschrei, wenn die wohllautende heilige Flöte aus Lotosholz heilige Weisen ertönen lässt, die begleiten die in die Berge, in die Berge Schwärmenden. Voll Freude also, wie ein junges Fohlen an der Seite der weidenden Mutter, wirft die Bakchantin ihre schnellen Füße im Tanz.
Eine CD mit Studioaufnahmen der Musik und Ausschnitten der Aufführungen in Dresden und Hamburg im MPEG1-Video-Format kann über den Autor bezogen werden. Anmerkungen 1 Dem Sachverstand von Jens Holzhausen haben Inszenierung und Musik viel zu verdanken. Seine Überlegungen zur Interpretation der Bakchen demnächst in: Jens Holzhausen, Euripides Politikos. Recht und Rache in "Orestes" und "Bakchen", München/Leipzig 2003 (= BzA 185.). 2 Vgl. Marilyn Arthur, The choral odes of the Bacchae of Euripides, in: YClS 22 (1972), 145-179, 146f. 3 Jacqueline de Romilly, Le thème du bonheur dans les Bacchantes, in: REG 76 (1963), 361-380. 4 Vgl. E. R. Dodds, Euripides Bacchae, edited with introduction and commentary, Oxford 21960, xiv-xvi. 5 So sagte August Wilhelm Schlegel in seiner zehnten Vorlesung über das Drama, sonst nicht mit Kritik an Euripides sparend: "Die ‚Bacchantinnen’ stellen die um sich greifende taumelnde Begeisterung des Bacchusdienstes mit großer sinnlicher Kraft und lebendiger Gegenwart dar. <…> Die Wirkung auf der Bühne musste außerordentlich sein. Man denke sich den Chor mit fliegenden Haaren und Gewändern, Tambourine, Cymbeln usw. in den Händen, <...> in die Orchestra hereinstürmend, und unter rauschender Musik seine begeisterten Tänze aufführend, was ganz ungewöhnlich war, da sonst die Chorgesänge ohne andre Begleitung als die der Flöte zu einem feierlichen Tanzschritt vorgetragen wurden. Und hier war einmal diese üppige Ausschmückung, dergleichen Euripides überall sucht, an ihrer Stelle." – A. W. Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1966, Bd. 1, 125. Vgl. J. E. Sandys, The Bacchae of Euripides with critical and explanatory notes, Cambridge 1880, lxxxvii. 6 Vgl. zum Schluss der Epode: Martin Hose, Studien zum Chor bei Euripides, Stuttgart 1991, Bd. 2, 342.
Felix Mundt (Wiss. Mitarb.) Seminar für Klassische Philologie, Ehrenbergstr. 35, 14195 Berlin e-mail: fmundt@zedat.fu-berlin.de . . . . . . . . . . . . . . . . .
|