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                                     Pegasus-Onlinezeitschrift III/3 (2003), 48

Antonia Wenzel

Neulateinische Dichtung in der Schule

Ein Gedicht Cristoforo Landinos als Ergänzung der Catull- und Elegiker-Lektüre

   

Landinus homo et eloquens et eruditus et Florentiae iam diu doctor bonarum litterarum celebratissimus ... (1)sagte einst Angelo Poliziano, einer der bekanntesten Dichter und Philologen des Quattrocento, über Cristoforo Landino, seinen ehemaligen Lehrer an der Universität von Florenz.

Obwohl Landino zu den bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit zählte, wie das Zitat belegen mag, und er sich als solche rege an der geistigen und literarischen Entwicklung des italienischen Humanismus beteiligte, findet sein Werk in der neueren Forschung eher einseitige Betrachtung. Landino wird dabei meist auf seine philosophischen Schriften beschränkt, besonders sein Hauptwerk, die „Camaldulensischen Gespräche“, steht im Zentrum des Interesses. Landinos Gedichte hingegen, die mit einer Zahl von über hundert immerhin ein beachtliches Textcorpus ausmachen, sind bisher noch nicht zusammenhängend untersucht worden.

Bei dem vorliegenden Aufsatz handelt es sich um einen Auszug aus meiner wissenschaftlichen Hausarbeit, die im Rahmen der Staatsexamensprüfung im Fach Latein im Wintersemester 2002/2003 an der Freien Universität Berlin unter der Betreuung von Herrn Prof. Dr. Widu-Wolfgang Ehlers entstand. In dieser Hausarbeit habe ich versucht, die oben beschriebene Forschungslücke ein wenig zu füllen, indem ich mich ausschließlich mit dem Dichter Landino beschäftigte, genauer gesagt mit Landino als dem Dichter lateinischer Liebeselegien nach dem Vorbild und Muster der augusteischen Dichter. 

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Landinos Xandra

Um das Jahr 1444 vollendete Cristoforo Landino ein Gedichtbuch, dem er den Titel „Xandra“ gab, nach dem Namen der darin besungenen Frau. Ungefähr fünfzehn Jahre später legte er eine überarbeitete und erweiterte Fassung dieser Sammlung lateinischer Gedichte vor. (3)Die ältere Version (B) der Gedichtsammlung „Xandra“ ist nur in einem Codex erhalten, der wahrscheinlich 1449 von einer bislang noch nicht entdeckten Vorlage abgeschrieben wurde. (4)Sie ist dem bedeutenden Schriftsteller, Kunsttheoretiker und Wissenschaftler Leon Battista Alberti (1404-1472) gewidmet und hat mit insgesamt 765 Versen ungefähr die Länge eines antiken Gedichtbuches. (5)Die 53 lateinischen Gedichte sind zum größten Teil im elegischen Distichon verfasst; nur am Anfang und am Ende des Buches finden sich andere Metren: Hendekasyllabus (B1; B46), sapphische Strophe (B44; B45; B47; B50), Hexameter (B48).

Die ca. 1458/9 entstandene überarbeitete Fassung (A) der Gedichtsammlung umfasst drei Bücher und ist Piero de'Medici, dem Gönner Landinos in jener Zeit, gewidmet. Die ältere Fassung B stellte den Kern des ersten Buches der neueren Fassung A dar. Von den ehemals 53 Gedichten in B ließ Landino für das erste Buch der zweiten Auflage (A) 28 Gedichte aus, fügte 8 neue hinzu und überarbeitete 25. Das erste Buch der Fassung A enthält somit 33 Gedichte. Die Bücher zwei und drei der Version A umfassen 30 bzw. 19 carmina . Die Anzahl der Verse ist im ersten und zweiten Buch annähernd gleich (849 bzw. 862 Verse), während das dritte Buch wesentlich mehr Verse aufweist (1227 Verse). Das elegische Distichon ist auch in dieser im Vergleich zu B umfangreicheren Gedichtsammlung das vorherrschende Versmaß, im zweiten Buch wird es sogar ausschließlich verwendet.

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Im Folgenden soll ein Gedicht aus jener älteren Version des Gedichtbuches betrachtet werden, das sich besonders gut zur Ergänzung der Catull- und   Elegiker-Lektüre in der Schule eignet. Die Übersetzung stammt dabei von mir, da noch keine umfassende Übertragung der Gedichte ins Deutsche vorliegt. Nach einer allgemeinen Darstellung des historischen Hintergrundes wird darüber hinaus ein Einblick in Cristoforo Landinos Leben und Werk gegeben.

Historischer Hintergrund: Florenz als Zentrum von Kunst und Kultur

Nach diversen Kämpfen zwischen den adeligen Anhängern der Hohenstaufenkaiser (Ghibellinen) und den Verfechtern der Politik des Papstes in Italien (Guelfen), die sich v.a. aus dem Bürgertum rekrutierten, übernahmen Ende des 13. Jahrhunderts endgültig die Zünfte, und damit die Guelfen, die Herrschaft in Florenz. Die Spaltung zwischen den Lagern der Ghibellinen und der Guelfen blieb jedoch weiterhin bestehen.

Nach der Konsolidierung der guelfischen Macht wurde die neue Stadtregierung, die Signoria , etabliert, die sich auf die Zünfte stützte. Aufgrund dieser Voraussetzung konnte Florenz bald zu einer der führenden Handels- und Gewerbestädte in Europa aufsteigen.

Im 14. Jahrhundert gelang es Familien wie den Bardi und Peruzzi durch ihre neu gegründeten Bankhäuser und allgemein durch Geldgeschäfte auch politischen Einfluss in der Stadt auszuüben. Nachdem Florenz Anfang des 15. Jahrhunderts auch einen Zugang zum Meer erhalten hatte, konnte die Stadt im Folgenden ihre wirtschaftliche Macht ausbauen.

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An die Stelle der Bardi und Peruzzi, die langsam an Bedeutung verloren, trat bald die Familie der Medici, deren Vertreter Cosimo de'Medici ab 1434 die Macht seiner Familie auf wirtschaftlicher und politischer Ebene entscheidend stärken konnte. Sein Erfolg bestand v.a. darin, dass es ihm gelang, die Macht in der und über die Stadt auf seine Person zu konzentrieren, während er formell die republikanische Fassade beibehielt.

Cosimos Enkel Lorenzo de'Medici, genannt il Magnifico , der Prächtige, konnte Florenz seiner kulturellen Blüte zuführen, seit er ab 1478 die alleinige Macht in der Stadt innehatte. Lorenzos Nachfolgern war es später nicht möglich, die Bedeutung der Stadt weiter auszubauen bzw. den Stand zu halten. Florenz verlor allmählich aufgrund äußerer (Einzug französischer Truppen in Italien unter Karl VIII.) und innerer (Einfluss des religiösen Eiferers Girolamo Savonarola (7)) Wirren an Bedeutung.

Das 15. Jahrhundert, das Quattrocento, stellte den Höhepunkt der Florentinischen Kunst und Kultur dar. Künstler und Intellektuelle wie Brunelleschi (1377-1446), Ghiberti (1378-1455), Botticelli (1445-1510), Mantegna (1431-1506) oder da Vinci (1452-1519) lebten und wirkten in jener Zeit in Florenz.

Auch Cristoforo Landino ging im Jahre 1439 nach Florenz und konnte zu einer der führenden Personen des geistigen Lebens in jener Zeit aufsteigen. Er war erfolgreicher Lehrer an der Universität, verfasste eine Reihe von Gedichten und philosophischen Werken und war mit bedeutenden Humanisten wie Marsilio Ficino (1433-1499), Leon Battista Alberti (1404-1472), Poggio Bracciolini (1380-1459) und Leonardo Bruni (1369-1444) bekannt und befreundet.

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Leben und Werk Cristoforo Landinos

Cristoforo di Bartolomeo Landino wurde 1424 in Pratovecchio, nahe Florenz, geboren. (9)Seine Familie, die seit dem 13. Jahrhundert in der Region nachweisbar ist, gehörte wohl nicht zur Oberschicht, und ihre Angehörigen bekleideten keine nennenswerten politischen Ämter.

Als Zehnjähriger begann Cristoforo Landino, gefördert durch den Notar Angelo da Todi, das Jurastudium in Volterra, das er 1439 mit dem Doktortitel abschloss. (11)Nachdem Landino seine juristische Ausbildung absolviert hatte, ging er 1439 nach Florenz. An der Universität der Stadt, dem Studio fiorentino , hörte er bei Carlo Marsuppini (oder Marzupini, 1398-1453), selbst Dichter und Übersetzer Homers, Vorlesungen über Rhetorik und Literatur. Während des Universitätsstudiums beschäftigte sich Landino neben antiker Dichtung mit aristotelischer und scholastischer Philosophie; in dieser Zeit kam wohl auch der Kontakt mit den Florentiner Humanisten Leonardo Bruni (1369-1444) und Poggio Bracciolini (1380-1459) zustande.

Gegen den Willen seines Vaters schlug Cristoforo Landino nicht die juristische Laufbahn ein, sondern blieb am Studio in Florenz; dies war ihm v.a. durch die Unterstützung Piero de'Medicis, des Vaters Lorenzos des Prächtigen, möglich, dessen Gunst Landino sich erworben hatte.

Am 22. Oktober 1441 fand im Dom von Florenz ein Dichterwettstreit für volkssprachliche Poesie statt, den der Florentiner Universalgelehrte Leon Battista Alberti (1404-1472) initiiert hatte. Landino nahm daran teil und konnte sowohl durch eigene poetische Versuche als durch die Rezitation einiger Terzinen von Francesco d'Altobianco degli Alberti (1401-1479), seines Gönners in jungen Jahren, diesen Certame coronario für sich entscheiden.

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Wenig später, in den Jahren 1443-45 (13), entstand Landinos Gedichtbuch „Xandra“, das er ungefähr 15 Jahre später (1458/9) in überarbeiteter und erweiterter Form herausgab.

1446 ließ sich Landino nach mehreren Reisen endgültig in Florenz nieder und vertiefte seine Studien der griechischen und römischen Philosophie. Ihm war nun die anhaltende Förderung durch die Familie der Medici sicher; das Erbe, das ihm sein ehemaliger Erzieher Angelo da Todi zugesprochen hatte, ermöglichte ihm darüber hinaus die nötige finanzielle Unabhängigkeit.

Anfang 1458 erhielt Landino den Lehrstuhl für Poetik und Rhetorik am Studio fiorentino und trat damit die Nachfolge seines ehemaligen Lehrers Carlo Marsuppini an. (14)Im selben Jahr heiratete Landino eine Verwandte Leon Battista Albertis, Lucrezia degli Alberti.

Landinos Lehrtätigkeit am Studio konzentrierte sich auf Dichtungstheorie, Interpretation und Kommentierung römisch-antiker sowie italienischer Dichter und erfasste darüber hinaus philosophische Bereiche (Vergil, Horaz, Juvenal, Persius, Dante, Petrarca, Platon, Aristoteles, Cicero). Zu seinen Schülern gehörten bekannte Persönlichkeiten des damaligen bzw. kommenden geistig-kulturellen Lebens von Florenz, wie z.B. der Dichter Angelo Poliziano (1454-1494) und der Philosoph Marsilio Ficino (1433-1499). Letzterer konnte Landino seit 1460 für die Philosophie des Neuplatonismus begeistern und wurde später sein Lehrer darin. 1462 trat Landino der Academia Platonica bei, die von Ficino geleitet wurde und die sich aus einem Kreis humanistisch gesinnter Bürger rekrutierte, die über Aspekte der platonischen Philosophie diskutierten.

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Piero de'Medici vertraute Landino bald die Erziehung seines 1449 geborenen Sohnes Lorenzo an, des späteren Magnifico , unter dem Florenz seine Blütezeit erleben sollte. (15)1467 hatte Cristoforo Landino das Amt des Kanzlers der papstfreundlichen Guelfenpartei inne, der auch die Familie der Alberti seit langer Zeit angehörte.

In den folgenden Jahren erschienen Landinos philosophische Werke sowie Übersetzungen und Kommentare zu römisch-antiken und italienischen Schriftstellern: 1471 oder 1472 erschienen die drei Bücher der Schrift De nobilitate animae (= De anima ), die Ercole d'Este, ebenfalls ein Guelfe und seinerseits „Wiederentdecker“ des antiken Dramas, gewidmet sind. Um 1472 oder 1475 entstand das bekannteste Werk Landinos, die 1480 herausgegebenen vier Bücher Disputationes Camaldulenses , dessen Adressat Federigo da Montefeltro ist, der Herzog von Urbino. In dem fingierten Dialog, der im Juli des Jahres 1468 spielt, lässt Landino seine Redner, zu denen neben Landino selbst L. B. Alberti, M. Ficino und die Brüder Lorenzo und Giuliano de'Medici gehören, über die Alternative der vita activa bzw. der vita contemplativa diskutieren. (16)1487 oder kurz danach erschien die Schrift De vera nobilitate , in der sich Landino der Frage widmet, ob der wirkliche Adel eines Menschen durch seine Herkunft oder durch seine Lebensführung bestimmt werde. (17)Bereits 1476 hatte Landino eine Übersetzung der Naturalis historia des Plinius vorgelegt, die in Venedig publiziert wurde und Ferdinand I. von Neapel gewidmet war. In den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts erschienen Landinos Kommentare zu einigen Schriftstellern der römischen Antike und zu Dante (1481: Dante, Divina Commedia ; 1482: Horaz; 1488: Vergil); die Kommentare, die Landino zu Juvenal und Persius verfasst hatte, sind noch immer nicht ediert und liegen nur in Handschrift vor.

Im Jahre 1497 zog sich Cristoforo Landino von der Lehrtätigkeit am Studio fiorentino zurück und starb wohl im folgenden Jahr.

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Strategien des Dichtens bei Landino und der Umgang mit seinen Vorbildern

In den Xandra-Gedichten folgt Landino den Motiven und Topoi, die v.a. seit den römischen Elegikern für die Liebeselegie bekannt sind. Nach dem Muster von antiken Elegienbüchern ist Landinos Gedichtbuch als Folge von Gedichten angelegt, in denen ein elegisches / lyrisches Ich, das sich mit dem Verfasser gleichsetzt, von seiner Liebe berichtet. Im Mittelpunkt steht bei Landino dabei Xandra, wie bei Catull Lesbia, bei Properz Cynthia oder bei Ovid Corinna. (29)Im Gegensatz zu den puellae in Landinos antiken Vorlagen, trägt Xandra jedoch im Allgemeinen nicht die Züge einer Hetäre. Sie hebt sich damit – außer von den antiken Vorbildern – auch von der Darstellung weiterer puellae ab, die als Nebenfiguren in die Haupterzählung integriert und vom Dichter entweder in Einzelgedichten oder in kleineren Gedichtzyklen bzw. Binnengeschichten beschrieben werden.

In Landinos Gedichten begegnen ferner – analog zu den antiken Elegikern – so genannte „elegische Grundhaltungen“ (21), zu denen die bedingungslose Hingabe an die Geliebte ( servitium amoris ), der Wunsch nach andauernder Liebe ( foedus aeternum ) sowie die Klage des ausgeschlossenen Liebhabers vor der Tür seiner puella gehören ( exclusus amator ; Paraklausithyron). Die bei den antiken Elegikern beliebte Vorstellung der militia amoris , die in der Liebe eine Lebensform sieht, die mit der konventionellen Art, sein Leben zu führen, konkurriert, fehlt bei Landino hingegen. Auch die Klage, die Geliebte fordere Geschenke oder wende sich einem reicheren Manne zu, wie sie bei den antiken Dichtern häufig begegnet, findet sich bei Landino nicht – vermutlich, um die Gleichsetzung seiner puella mit einer Hetäre zu vermeiden.

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Landino geht zumeist recht frei mit seinen antiken Vorlagen um, obwohl die Anspielungen auf sie für den wissenden Leser stets fassbar bleiben und gerade dadurch auch zum tieferen Verständnis des jeweiligen Gedichtes Landinos beitragen. Es finden sich v.a. Anklänge an Catull, Tibull, Properz und Ovid, aber auch an Vergil, Horaz und Martial. (22)Landino variiert immer wieder die Art und Weise, wie er auf seine Vorlagen eingeht: Er zitiert einzelne Verse oder Versstücke, die er dann zuweilen an dieselbe Stelle im Vers stellt, an der sie im „Original“ stehen; er verwendet Synonyme und greift Motive, oft leicht verändert, auf; ein anderes Mal setzt er eine für seine Vorlage typische Vokabel, wie z.B. Catulls medulla , um den Bezug zu verdeutlichen; Einzelverse in der Vorlage können ferner bei Landino zu Strophen ausgeweitet werden; oft bezieht sich Landino in einem Gedicht nicht nur auf einen antiken Dichter, sondern vermengt Anspielungen auf mehrere; häufig auch übernimmt er die Motivik und sogar Vokabeln aus einer Vorlage, dichtet dann aber in einem anderen Versmaß.

Durch diese Strategien des Dichtens gelingt es Landino, sich sowohl in die antike Tradition einzureihen als auch eine direkte Konkurrenz mit den antiken Dichtern gerade zu vermeiden. Seine Gedichte sind daher zwar eindeutig den antiken Vorbildern verpflichtet, aber im gleichen Maße eigenständige künstlerische Werke, die von der Originalität des Dichters zeugen. Das folgende Beispiel soll das bisher Gesagte nun verdeutlichen und den Dichter Landino für sich selbst sprechen lassen.

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Text

Ad Xandram (B6) An Xandra
Xandra mihi tantum quondam crudelis amata,
   quantum dilecta est femina nulla viro.
En erit ulla dies, qua tu succurrere nobis
   et tumidos fastus ponere, Xandra, velis?
5 Anne ferox cursu semper perstabis eodem
  disces animum flectere, saeva, ferum?
Sed quid me macero miserum? Sperare quid ultra
   fas puto? Iam subito iamque, puella, vale!
Dum licuit, tecum gratissima gaudia sumpsi

10 laetitia pleni dumque fuere dies.
Nunc vertis mores: sic et vertenda voluntas.
   Est quoque. Iam nobis iamque, puella, vale!
Te tamen et coeli sanctissima numina testor
   me invitum faciem linquere, Xandra, tuam,
15 sed tua me feritas moliri talia cogit:
   ndum nobis. Iamque, puella, vale!
A quotiens flebis misere quotiensque rogabis,
   ut redeam lacrimis, insidiosa, tuis.S
ed nil proficies: neque enim tolerare superbos
20 amplius est fastus. Iamque, puella, vale!
tuus valeat tecum pulchellus amator,
   qui tibi, pro superi, quam bene iunctus erit!
Nam, mea quae dici cupiat, reperire puellam
   non dubito, cuius solus amator ero.
Xandra, die grausame, liebte ich einst so sehr, wie nie eine Frau von einem Manne geliebt wurde. Wird es je einen Tag geben, an dem du mir entgegenkommen und den aufgeblasenen Stolz ablegen willst, Xandra? 5 Oder wirst du trotzig stets auf diesem Wege bleiben und nicht lernen, Grausame, dein hartes Herz zu erweichen? Aber warum quäle ich mich Armen? Was glaube ich noch hoffen zu dürfen? Nun schnell; nun, Mädchen, leb' wohl! Solange es erlaubt war, habe ich mit dir die schönsten Freuden genossen, 10 und solange die Tage voller Frohsinn waren. Jetzt änderst du dein Verhalten: so muss sich auch das Verlangen ändern. Schon geschehen. Nun, Mädchen, nun leb' mir wohl! Vor dir aber und den heiligsten Gottheiten im Himmel bezeuge ich: ungern verlasse ich, Xandra, deinen Anblick. 15 Doch deine große Grausamkeit zwingt mich, so etwas zu tun: gehen muss ich. Und schon, Mädchen, leb' wohl! O wie oft wirst du elendig weinen und wie oft flehen, dass ich zurückkomme, Hinterlistige, deiner Tränen wegen. Doch nichts wirst du ausrichten: eitlen Stolz zu ertragen, 20 ist nämlich nicht besonders ehrenvoll. Und nun, Mädchen, leb' wohl! Und wohl leben soll mit dir dein Liebhaber, dieser Schönling, wie gut, bei den Göttern, wird er zu dir passen! Denn ich zweifle nicht, ein Mädchen zu finden, das die meine genannt werden will und deren einziger Liebhaber ich sein werde.

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Kommentar

1-2: Catull. 8,5: amata nobis quantum amabitur nulla ; 37,12: amata tantum quantum amabitur nulla ; 58,2f.: quam Catullus unam / plus quam se atque suos amavit omnes ; 87,1f.: nulla potest mulier tantum se dicere amatam / vere, quantum a me Lesbia amata mea est. 4: tumidos fastus – Ov. ars 1,715: si tamen a precibus tumidos accedere fastus / senseris ; fastus ponere – Ov. met. 14,762: pone, precor, fastus ; rem. 511: iam ponet fastus ; 6: animum ... ferum – Diese Verbindung bei Ov. ars 1,12: atque animos placida contudit arte feros ; saeva – Von der Geliebten vgl. Tib. 1,8,62: et fugit ex ipso saeva puella toro ; 2,4,6: uror io: remove, saeva puella, faces ; 7: quid me macero – Vgl. Ter. Andr. 886: quor me macero ; eigentlich macero , Landino misst hier jedoch macero , wofür mir kein weiterer Beleg bekannt ist; me ... miserum – Häufige Verbindung (z.B. Catull. 30,5. 50,9; Prop. 2,33b,35. 3,23,19; Ov. am. 1,1,25. 3,2,69; auch umgekehrt miserum me : Catull. 99,11; Prop. 1,1,1); 8: puella, vale! – Catull. 8,12: vale, puella ; Prop. 3,21,16: tuque, puella, vale ; 11: nunc vertis mores ... – Nach Catull. 8,9: nunc iam illa non vult, tu quoque, inpotens, noli ; 12: est quoque – Zu ergänzen versa ; der Text lautet bei Perosa esto quoque , was allerdings metrisch nicht korrekt ist; der Wortlaut müsste m. E. entweder est quoque oder estoque sein. Da Landino das auslautende –o häufiger kürzt, könnte die Form hier also estŏquĕ gemessen werden (zu kurzem auslautenden –o beim Imp. Fut. s. Platnauer 52 [mit Verweis auf Ov. trist. 4,3,72]; Boldrini 63); die Verwendung eines Imperativs an dieser Stelle käme zudem der Vorlage bei Catull sehr nahe. Es findet sich jedoch bei antiken Autoren kein Beleg für die Form estoque , wohingegen est quoque häufig erscheint; eine Parallelstelle bei Landino selbst fehlt für beide Wendungen; 13: sanctissima numina – Diese Verbindung im Positiv häufiger bei Lukrez und Vergil, der Superlativ erscheint nicht (Lucr. 2,434. 6,70; Verg. Aen. 3,543; im Sg.: Lucr. 5,309; Verg. Aen. 8,382); 14: invitum – Catull. 66,39f.: invita, o regina , tuo de vertice cessi, / invita, adiuro teque tuumque caput ; 19f.: tolerare superbos / ... fastus – Vgl. B19,1; Prop. 3,24,35: fastus patiare superbos ; 21: valeat – Catull. 11,17: cum suis vivat valeatque moechis ; 21: pulchellus – Häufiger bei Cicero, meist in Verbindung mit puer oder für Clodius Pulcher (z.B. Att. 1,16,10: pulchellus puer ; 2,1,4: furor Pulchelli ); 22: pro superi – Dieser Ausruf ist seit augusteischer Zeit gebräuchlich, älter dagegen sind pro Iuppiter , o Iuppiter (23); Ov. met. 6,472; trist. 1,2,59; qui tibi ... bene iunctus erit – Ähnliche Wendungen bei Verg. Aen. 4,28: primus qui me sibi iunxit ; ecl. 8,32: o digno coniuncta viro und Ov. met. 13,752: nam me sibi iunxerat uni ; 14,675f.: si te bene iungere ... voles ; Pont. 2,5,7: fuerim ... tibi iunctus .

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Interpretation

Das Gedicht B6 gestaltete Landino hauptsächlich nach dem Vorbilde Catulls. Vor allem dessen achtes carmen diente ihm hierbei als Vorlage. Einige Wendungen sind zwar auch anderen antiken Dichtern entnommen, Inhalt und Aufbau des Gedichtes beziehen sich jedoch vorwiegend auf Catull. Die Anlehnung an Catull fügt sich dabei gut in die Sammlung von Liebesgedichten ein, wie sie Landino präsentiert. Auch Catull berichtet in seinen carmina – ähnlich wie die Elegiker – von der Beziehung zu einer Frau, in der er glückliche und unglückliche Momente erlebt hat.

Das Gedicht B6 stellt eine Absage an die Geliebte Xandra dar, die sich, nach Meinung des Dichters, von ihm distanziert und zurückgezogen hatte. Landino legt das Gedicht zum größten Teil als Anrede an Xandra an, nur an wenigen Stellen spricht er neutral (V. 1-2) oder zu sich selbst (V. 7-8). Er unterscheidet sich darin von Catull, der im ersten Teil seines carmen 8 zu sich selbst, im zweiten zu seiner Geliebten Lesbia spricht. (25)Ein weiterer auffälliger Unterschied zu Catull c. 8 liegt im Versmaß. Während Catull den Choliambus (Hinkjambus) (26)verwendete, schrieb Landino sein Gedicht im elegischen Distichon, dem Metrum der römischen Liebeselegie, wodurch er sich auch und wieder in ihre Tradition einreiht und sein Vermögen, schöpferisch mit seinen antiken Vorlagen umgehen zu können, unter Beweis stellt.

Landinos Gedicht B6 lässt sich in sechs Strophen von jeweils vier Versen unterteilen. Die Strophen 2-5 schließen dabei jeweils mit der Formulierung iamque, puella, vale (V. 8. 12. 16. 20), die als eine Art Refrain fungiert. Die umrahmenden Strophen 1 und 6 weisen diesen Refrain nicht auf. Das Gedicht ist ganz auf Gegensätzen aufgebaut, in jeweils einem Distichon werden konstrastierende Gedanken ausgedrückt und einander gegenübergestellt.

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In den Strophen 3-6 stehen die entgegengesetzten Disticha jeweils direkt hintereinander, in den ersten beiden ist dieses Muster hingegen ein wenig variiert, und die kontrastierenden Disticha sind einander chiastisch gegenüber gestellt. Ferner stellen die Strophen 1 und 6 einen Kontrast dar und umschließen somit die Entwicklung, die der Dichter durchmacht: Während Landino in der ersten Strophe noch die Hoffnung hegt, Xandra werde ihn erhören, formuliert er in der sechsten Strophe eine Absage an sie.

Das Gedicht beginnt zunächst mit einer recht neutralen Aussage: In den Versen 1-2 beschreibt Landino seine Liebe zu Xandra als überwältigend. Das Wort crudelis (V. 1) weist dabei – besonders durch die enge Verbindung mit amata – als einziges auf den unglücklichen Verlauf der Liebe hin und stellt die Anbindung an die folgenden Verse dar, in denen Landino über Xandras Hartherzigkeit klagt. Den direkten Gegensatz zu den Versen 1-2 bildet jedoch nicht das folgende Distichon, sondern erst die Verse 7-8: Wurde hier noch von einer außerordentlichen Liebe gesprochen, die größer als je eine war, erscheint der Dichter dort völlig hoffnungslos und sagt eben dieser großen Liebe ab.

Die Verse 3-6, die von den eben beschriebenen kontrastierenden Versen umschlossen werden, bilden einen weiteren, wenn auch weniger starken Gegensatz. In 3-6 fragt der Dichter Xandra direkt, ob sie ihm jemals freundlich gesinnt sein werde (V. 3-4) oder, im Gegenteil, sich stets weiter von ihm fernhalten wolle (V. 5-6). Nach all den zweifelnden Fragen an sich selbst sowie an Xandra kommt der Dichter am Ende von Vers 8 zu dem Entschluss, der Geliebten Lebewohl zu sagen und zieht damit die Konsequenz aus dem Verhalten Xandras, das ihn so sehr leiden ließ. Bei Catull finden sich Entsprechungen zu einigen der eben beschriebenen Verse, wobei sich Landino nicht an die Reihenfolge bei Catull hält, sondern die Verse in einen neuen Zusammenhang stellt: Mit den Versen 1-2 greift Landino Catulls amata nobis quantum amabitur nulla (8,5) auf. Landinos Verse 7-8 sind eine Variation von Catull 8,1-2 bzw. 8,10-12:

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                   Miser Catulle, desinas ineptire,
                   et quod vides perisse perditum ducas.
                   ...
                   nec quae fugit sectare, nec miser vive,
                   sed obstinata mente perfer, obdura.
                   Vale, puella, iam Catullus obdurat.

Nachdem Landino über seine Situation reflektiert, sich selbst ermuntert und in der Konsequenz der einst Geliebten entschieden abgesagt (V. 1-8) hatte, folgt am Anfang der dritten Strophe (V. 9-10) zunächst eine Rückblende, in der sich der Dichter an vergangene, glücklichere Zeiten mit Xandra erinnert. Auch Catull kennt diese wehmütige Erinnerung an eine Zeit, in der er mit Lesbia glücklich war:

                   fulsere quondam candidi tibi soles,
                   cum ventitabas quo puella ducebat (8,3-4)
                   ...
                   ibi illa multa tum iocosa fiebant,
                   quae tu volebas nec puella nolebat,
                   fulsere vere candidi tibi soles (8,6-8).

Nach diesem kurzen Gedankenspiel jedoch holt Landino sich (und Xandra) in Vers 11 schroff zurück in die Gegenwart und bestätigt noch einmal seine Absage an die Geliebte, wie er sie in Vers 8 formuliert hatte. Auch hier, in der dritten Strophe des Gedichtes, wird also ein starker Gegensatz gestaltet, der sich auf Vergangenes (V. 9-10) und Gegenwärtiges (V. 11-12) bezieht. Auch an dieser Stelle hält sich Landino dabei eng an Catull: Heißt es bei diesem
                   nunc iam illa non vult: tu quoque, inpotens, noli (8,9),
schreibt Landino in eben diesem Sinne:
                   nunc vertis mores: sic et vertenda voluntas (V. 11).

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Aus der Bestätigung iam Catullus obdurat (8,12) wird bei Landino ein knappes est quoque (V. 12), dem der bekannte Refrain folgt.

In der vierten Strophe (V. 13-16) beschreibt Landino, wie ungern er Xandra verlasse. Da es jedoch keine andere Möglichkeit für ihn gebe, müsse er ihr vale sagen. Wieder drückt der Dichter in diesen vier Versen einen Gegensatz aus, der sich diesmal auf seine bzw. Xandras Gefühle bezieht: Auf der einen Seite steht er selbst (V. 13-14), der die Geliebte freiwillig nicht verließe, auf der anderen Seite Xandra, die ihn zwinge, sich zurückzuziehen (V. 15-16). Dieser Gedanke hat in Catulls achtem Gedicht keine Entsprechung und könnte höchstens als Variation und Erweiterung der Verse 9-10 bei Catull (28)angesehen werden. Gedanklich und sprachlich ähnliche Verse finden sich allerdings trotzdem bei Catull, namentlich in carmen 66, dem Gedicht über die Locke der Berenike, das Catull in Anlehnung an Kallimachos (frg. 110) verfasst hatte. In diesem Gedicht heißt es bei Catull folgendermaßen:

                   invita, o regina, tuo de vertice cessi,
                   invita: adiuro teque tuumque caput (66,39f.).

Auch hier, bei Catull, fällt das Verlassen der „Herrin“ schwer, wobei die Aussage durch einen Schwur bekräftigt wird. Die Betonung, dass man unfreiwillig verlasse, was man liebe, findet sich bei Catull durch das doppelte invita ausgedrückt, das sich jeweils an exponierter Stelle am Versanfang befindet. Der folgende Schwur bekräftigt dies zwar, ist jedoch – trotz der Königlichkeit des Adressaten – recht schwach. Bei Landino hingegen findet sich eine viel stärkere Darstellung des Zwanges, sich von der Geliebten trennen zu müssen: Er ruft die höchste Autorität, nämlich die göttlichen Wesen, als Zeugen an (V. 13), womit er bereits die Darstellung bei Catull übertrifft. Darüber hinaus erweitert er den gesamten Gedanken an dieser Stelle durch den Zusatz, die Geliebte wolle – jedenfalls nach seinem Eindruck –, dass er sie verlasse (V. 15), was den Vorgang noch grausamer erscheinen lässt. Dem Dichter bleibt nichts als dem Willen seiner Geliebten nachzugeben (29)und ihr Lebewohl zu sagen (V. 16).

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In den Strophen fünf und sechs ändert sich der Ton, den der Dichter gegenüber seiner Geliebten anschlägt. Klagte er im ersten Teil des Gedichtes über den Verlust der Liebe und die Hartherzigkeit seiner puella , macht er ihr nun trotzige Vorwürfe und sagt voraus, dass sie ihre Entscheidung bereuen werde. Xandra werde, so schreibt Landino in den Versen 17-18, flehen und bitten, dass er zu ihr zurückkomme, und sie werde versuchen, ihn durch Tränen zu erweichen. Dieser Gedanke findet sich ähnlich auch bei Catull:

                   at tu dolebis, cum rogaberis nulla.
                   Scelesta, vae te, quae tibi vita manet (8,14-15).

Catull jedoch prophezeit seiner Lesbia ein Leben in Einsamkeit, wenn er nicht mehr da sein werde und weist sie darauf hin, dass sie sich grämen werde, von niemandem mehr angefleht zu werden. Bei Landino verhält es sich etwas anders: Hatte bislang er die Rolle des Flehenden und Bittenden übernommen, werde Xandra dies in Zukunft tun, wenn sie ihn jetzt wegschicke.

Nach dem Hinweis auf die Reue, die Xandra für ihr Verhalten empfinden werde, folgt der Vorsatz des Dichters, standhaft gegenüber Xandras Bitten zu sein. Mit dem starken sed am betonten Satzanfang (V. 19) drückt er die Gegensätzlichkeit der Verhaltensweisen Xandras und seiner Person aus. Die Strophen vier und fünf sind parallel gebaut: In den ersten beiden Versen (13-14 bzw. 17-18) wird jeweils die Haltung des Schwächeren beschrieben, im zweiten Distichon dagegen die des Stärkeren (15-16 bzw. 19-20). Die Personen, die das beschriebene Verhalten zeigen, werden jedoch in der fünften Strophe im Vergleich zur vierten vertauscht. War es in den Versen 13-14 Landino, der den schwächeren Part gegenüber Xandra übernommen hatte, ist es nun (V. 18-19) sie, die die Rolle der Unterlegenen einnimmt.

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift III/3 (2003), 64

Die Verse 15-16 beschreiben die Unnahbarkeit Xandras, die Verse 19-20 diejenige Landinos. Der Ausdruck
                   sed nil proficies iamque, puella, vale (V. 19-20)
findet dabei sein inhaltliches Gegenstück wieder bei Catull:
                   vale, puella, iam Catullus obdurat
                   nec te requiret nec rogabit invitam (8,12-13).

In der zweiten Auflage des Xandra-Buches lässt Landino das Gedicht an dieser Stelle, mit Vers 20, enden. Die Verse 21-24, die die sechste Strophe in B6 bilden, erscheinen in der Überarbeitung nicht mehr. Das Gedicht endet dort vielmehr mit einem entschlossenen letzten iamque, puella, vale . In B6 jedoch, der älteren Fassung des Gedichtes, findet sich am Schluss noch der Hinweis auf einen Nebenbuhler des Dichters (V. 21). Xandra habe sich diesem zugewandt, was ihr Desinteresse an Landino, über das sich dieser im gesamten Gedicht beklagt hatte, erklärt. Das Gedicht beinhaltet also eine Nuance, die in der späteren Überarbeitung fehlt: Hier ist es ein neuer Liebhaber, dessentwegen sich Xandra, nach Meinung des Dichters, spröde verhält und Landino sich gezwungen sieht, Xandra zu verlassen; dort ist es ihre Unnahbarkeit an sich, die den Dichter vertreibt. Dieser Aspekt verdeutlicht in besonderem Maße, dass und wie sich Landinos Dichtung verändert hat. Sind es in der ersten Auflage des Xandra-Buches noch vorwiegend die antiken Elegiker und Catull, an denen er sich orientiert und von denen er in diesem Falle auch das Motiv der Rivalität mit einem Nebenbuhler übernimmt, ist in der zweiten Auflage der Einfluss Petrarcas und seiner idealisierenden Liebesdichtung deutlicher spürbar.

Eine ähnliche Verwünschung, wie sie dann bei Landino in Vers 21 erscheint, kennt auch Catull. Allerdings begegnet sie bei diesem nicht im achten Gedicht, sondern im elften:
                   cum suis vivat valeatque moechis (11,17).

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift III/3 (2003), 65

Die Umarmungen, die Catulls Lesbia im folgenden Vers anderen Männern zukommen lässt, ändert Landino, ebenfalls im folgenden Vers, zur Verbindung mit nur einem anderen Mann um:
                   quos simul complexa tenet trecentos (Catull. 11,18)
wird zu
                   qui tibi, pro superi, quam bene iunctus erit (6,22).

Bei Catull erscheint Lesbia, besonders an dieser Stelle, als Hetäre, die sich um die Liebe keines Mannes kümmere. In den folgenden Versen drückt er dies noch deutlicher aus:
                   nullum amans vere, sed identidem omnium
                   ilia rumpens (11,19-20).

Landino vermeidet es, auf diese Verse Catulls anzuspielen; er schwächt dadurch – und durch die Erwähnung eines anderen Mannes und nicht, wie bei Catull, von dreihundert Männern – den Vergleich Xandras mit Lesbia ab.

Die letzten beiden Verse des Gedichtes bilden wieder einen Gegensatz zum vorhergehenden Distichon, indem von der Unterschiedlichkeit der Charaktere gesprochen wird: Xandra beachte die Liebe nicht und betrüge Landino mit einem anderen; Landino hingegen träume von ehrlicher Zweisamkeit, weshalb er sich von Xandra lossagen will.

Die innere Zerrissenheit, das Schwanken zwischen Aufgeben und Hoffen, gibt Landino nicht nur im Inhalt des Gedichtes wieder, sondern ebenso in dessen Aufbau. (33)Er stellt, wie beschrieben, Gegensätze direkt neben einander und wechselt zwischen Anrede an die Geliebte und an sich selbst. Er stellt Xandra auf der einen Seite ängstlich Fragen und formuliert auf der anderen bestimmt die Absage an sie. Er fällt von der Betrachtung der für ihn unerträglichen Gegenwart in die glückliche Erinnerung und malt sich und Xandra schließlich die zu erwartende Zukunft aus, bevor er sich eher trotzig als überzeugt von Xandra abwendet. Landino nutzt die Geschichte zwischen Catull und Lesbia, die er in diesem Gedicht verarbeitet, zur Darstellung seiner eigenen „Liebesgeschichte“.

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Landino will dabei jedoch nicht als bloßer Imitator erscheinen, sondern die antike Dichtung gestalterisch rezipieren und somit ein neues, eigenes Gedicht präsentieren, das über seine Vorgänger hinausgeht. Dies wird besonders dadurch deutlich, dass er für seine Geschichte nicht das von Catull verwendete Versmaß übernimmt, sondern auf das elegische Distichon zurückgreift, womit er sich wiederum in die Tradition der Liebeselegie stellt. Landino geht somit – bei allen deutlichen und beabsichtigten Parallelen – frei mit seinen antiken Vorlagen um, was ihm erlaubt, selbst schöpferisch tätig zu sein.

Verwendungsmöglichkeiten in der Schule

Die Xandra-Gedichte Cristoforo Landinos lassen sich in der Schule in mehreren Klassenstufen verwenden, wie ein Blick in aktuelle Lehrpläne verdeutlicht. So sieht der neue bayerische Lehrplan für die Klasse 11 unter dem Thema „Liebe und Freundschaft in der Dichtung“ (L 11.1.1) vor, dass die Catull-Lektüre durch lateinische Dichtung aus Mittelalter und Neuzeit ergänzt werden kann. Auch in Nordrhein-Westfalen kann in der 11. Klasse im Rahmen der Catull-Lektüre die Lyrik anderer Epochen zum Vergleich herangezogen werden. Der vorläufige Rahmenplan für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule (Gymnasiale Oberstufe) schlägt für Latein als erste, zweite und dritte Fremdsprache die Themen Elegie und Catull vor (Elegie: l1/L1 4.04; l2/L2 4.07; Catull: l2/L2 2.01; l3/L3 2.2), die, wie gezeigt werden sollte, sinnvoll ergänzt werden können durch z.B. das in diesem Aufsatz interpretierte Gedicht Landinos.

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift III/3 (2003), 67

Ferner bietet der Rahmenplan für das vierte Kurshalbjahr bei Latein als zweiter Fremdsprache (l2/L2 4.13) explizit das Thema „Renaissance“ an. Unter den Autoren, die für eine Lektüreeinheit zu diesem Thema ausgewählt wurden, erscheint Cristoforo Landino zwar nicht; die Auswahl im Rahmenplan stellt jedoch nur einen Lektüre vorschlag dar und ist mit den genannten Autoren (Petrarca, von Hutten, Celtis, Melanchthon, Erasmus) keineswegs verbindlich, sondern kann individuell gestaltet und ergänzt werden. Dabei kann bei der Lektüre Landinos z.B. auf eine im zweiten Kurshalbjahr erfolgte Catull-Sequenz zurückgegriffen oder die Elegie-Lektüre des vierten Kurshalbjahres ergänzt werden. Die Eigenständigkeit beider Epochen (Antike, Renaissance) soll und kann dabei gewahrt bleiben, indem die Originalität und Schaffenskraft der betrachteten Dichter deutlich gemacht wird, denn der Rückgriff eines humanistischen Dichters auf einen antiken Poeten bedeutet weder eine Abwertung des „Originals“ noch eine bloße Nachahmung durch den Späteren.

Wichtig ist, Landino als Rezipienten antiker Schriftsteller zu begreifen und seine Sichtweise auf die lateinische Vorlage herauszuarbeiten. Damit ergeben sich nicht nur neue Blickwinkel auf den jeweiligen antiken Text, sondern auch ein Bild von Landinos eigener Zeit und Dichtung.

Frings 11 bemerkt: “Die Einbeziehung von Rezeptionstexten ist gerade für Problementfaltungen von besonderer Fruchtbarkeit. Die Position der antiken Denker wird deutlich, die Position der Rezipienten lässt sich davon abgrenzen, unsere Position im Vergleich zu beiden bestimmen und klarer beschreiben. Die Resonanz eines Textes zeigt zugleich die Fruchtbarkeit seiner Fragestellungen.“ Auch dies trifft in besonderer Weise auf Landinos Xandra-Gedichte zu: Landinos Position, seine Verfahrensweise und sein Umgang mit dem antikem poetischen Material lassen sich in den einzelnen Gedichten, wie hier skizziert werden sollte, gut herausarbeiten. Die Sprache Landinos, die sich klar an der klassischen Latinität orientiert, wird dabei – anders als z.B. das Mittellatein – für die Schülerinnen und Schüler keine größere Hürde bedeuten und keine Umgewöhnung notwendig machen.


Antonia Wenzel , Berlin


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift III/3 (2003), 68

Literatur

1. Textausgaben (Landino, zitierte antike Autoren)

Landino:
Perosa, A.: Christophori Landini carmina omnia. Florenz 1939.
Arnaldi, F. u.a.: Poeti Latini del Quattrocento. Mailand / Neapel 1964.
Perosa, A. / Sparrow, J.: Renaissance Latin Verse, An Anthology. London 1979.
Ecker, U. u.a.: Cristoforo Landino, Index. Mainz 1998.

Catull:
Mynors, R. A. B.: C. Valerii Catulli carmina. Oxford 1958.

Cicero :
Shackleton Bailey, D. R.: M. Tulli Ciceronis epistulae ad Atticum. Stuttgart 1987-88.

Lukrez:
Bailey, C.: Lucreti de rerum natura libri sex. Oxford 1954.

Ovid:
Kenney, E. J.: P. Ovidi Nasonis amores, medicamina faciei femineae, ars amatoria, remedia amoris. Oxford 1994 (2. Aufl.).
Anderson, W. S.: P. Ovidii Nasonis metamorphoses. Stuttgart / Leipzig 1993.
Owen, S. G.: P. Ovidi Nasonis tristium libri quinque, Ibis, ex Ponto libri quattuor, Halieutica. Oxford 1915 u.ö.
Brandt, P.: P. Ovidii Nasonis amorum libri tres. Leipzig 1911.
Lenz, F. W.: Ovid, Die Liebeselegien. Berlin 1966.
Bömer, F.: P. Ovidius Naso, Metamorphosen, Kommentar. Heidelberg 1969ff.

Properz:
Fedeli, P.: Sexti Properti elegiarum libri IV. Stuttgart 1984.
Rothstein, M.: Die Elegien des Sextus Propertius. Berlin 1898.

Terenz:
Shipp, G. P.: P. Terenti Afri Andria. Oxford 1960 (2. Aufl.)

Tibull:
Luck, G.: Albii Tibulli aliorumque carmina. Stuttgart 1988.

Vergil:
Hirtzel, F. A.: P. Vergili Maronis opera. Oxford 1959.
Coleman, R.: Vergil, Eclogues. Cambridge 1977.


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift III/3 (2003), 69

2. Lexika / Wörterbücher / CD-ROM u.ä.

Cosenza:
Cosenza, M. E.: Biographical and Bibliographical Dictionary of the Italian Humanists and of the World of Classical Scholarship in Italy 1300-1800. Boston 1962.

Forcellini:
Forcellini, E.: Lexicon totius Latinitatis. Padua 1864ff. (4. Aufl.) u.ö. (zuerst 1771).

Gurst:
Gurst, G. / Hoyer, S. u.a. (Hrsgg.): Lexikon der Renaissance. Berlin 2000 (Digitale Bibliothek Bd. 41).

OLD:
Glare, P. G. W.: Oxford Latin Dictionary. Oxford 1968ff. u.ö.

PHI 5:
CD-ROM # 5.3 des Packard Humanities Institute.

RE:
Pauly, A. / Wissowa, G. / Kroll, W. u.a. (Hrsgg.): Pauly's Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Stuttgart / München 1894ff.

Roscher:
Roscher, W. H.: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Leipzig 1884ff.

Schanz / Hosius:
Schanz, M. / Hosius, C. u.a.: Geschichte der römischen Literatur, Bd. 2. 1935 (4. Aufl.).

ThLL:
Thesaurus Linguae Latinae. Leipzig 1900ff.


3. Grammatik / Metrik

KSt:
Kühner, R. / Stegmann, C.: Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, 2 Bde.   München 1962.

LHS:
Leumann, M. / Hofmann, J. B. / Szantyr, A.: Lateinische Grammatik, 2 Bde. München 1965ff.

Boldrini:
Boldrini, S.: Prosodie und Metrik der Römer. Aus dem Ital. v. B. W. Häuptli. Stuttgart / Leipzig 1999.

Platnauer:
Platnauer, M.: Latin Elegiac Verse. A Study of the Metrical Usage of Tibullus, Propertius and Ovid. Cambridge 1951.


4. Weitere Sekundärliteratur

Blänsdorf:
Blänsdorf, J.: Landino – Campano – Poliziano – Pascoli. Neue Dichtung in antikem Gewande, in: Gymnasium 91, 1984, 61-84.

Buck:
Buck, A.: Italienische Dichtungslehren. Vom Mittelalter bis zum Ausgang der Renaissance. Tübingen 1952.
Ders.: Die Rezeption der Antike in den romanischen Literaturen der Renaissance. Berlin 1976.

Carbonetto:
Carbonetto, A.: La Poesia Latina da Dante al Novecento. Florenz 1993.

Cardini:
Cardini, R.: La Critica del Landino. Florenz 1973.

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift III/3 (2003), 70

Förster / Grote:
Förster, K. / Grote, H.: Francesco Petrarca, Canzoniere, Triumphe, verstreute Gedichte. Ital./Dt. Darmstadt 2002.

Frings:
Fings, U.: Neulateinische Literatur im Lateinunterricht. In: AU 27, 6/1984, 9.

Haig Gaisser:
Haig Gaisser, J.: Catullus and his Renaissance Readers. Oxford 1993.

Holzberg:
Holzberg, N.: Die römische Liebeselegie. Eine Einführung. Darmstadt 2001.

Ijsewijn:
Ijsewijn, J.: Companion to Neo-Latin Studies, 2 Bde. Leuven 1990 / 1998.

Inglese:
Inglese, G. u.a.: Letteratura Italiana. Gli autori, 2 Bde. Turin 1990 / 1991.

Lentzen:
Lentzen, M.: Studien zur Dante-Exegese Cristoforo Landinos mit einem Anhang bisher unveröffentlichter Briefe und Reden. Köln / Wien 1971.

Ludwig:
Ludwig, W.: The Origin and Development of the Catullan Style in Neo-Latin Poetry, in: Godman, P. / Murray, O.: Latin Poetry and the Classical Tradition. Essays in Medieval and Renaissance Literature. Oxford 1990, 183-197.

McLaughlin:
McLaughlin, M.: Literary Imitation in the Italian Renaissance. The Theory and Practice of Literary Imitation in Italy from Dante to Bembo. Oxford 1995.

Stillers:
illers, R.: Humanistische Deutung. Studien zu Kommentar und Literaturtheorie in der italienischen Renaissance. Düsseldorf 1988.

Tateo:
Tateo, F.: Properzio nella poesia latina del Quattrocento, in: Pasquazi, S.: Properzio nella letteratura Italiana. Rom 1987, 41-64.

Weiss:
Weiss, R.: Cristoforo Landino. Das Metaphorische in den „Disputationes Camaldulenses“. München 1981.

Zintzen:
Zintzen, C.: Athen – Rom – Florenz. Ausgewählte kleine Schriften. Hg. v. D. Gall u. P. Riemer. Hildesheim u.a. 2000.



(1) „Landino, ein Mann, sowohl beredt als gebildet, und in Florenz seit langem schon der bedeutendste Lehrer der Geisteswissenschaften“ (Maier, I.: Angelus Politianus, Opera omnia. Tom. II, Turin 1971,   287).

(2) Auch die Bedeutung Landinos für kommende Dichter des italienischen Humanismus wird verschiedentlich angemerkt, ist jedoch noch nicht umfassend beschrieben worden. (Vgl. z.B. Lentzen 14, auch Ijsewijn Bd. 2, 80f.: „The Florentine poet Christophorus Landinus, whose Xandra ... was seminal for Neo-Latin lyrical poetry of the Quattrocento ...“)

(3) Mehrere Einzelgedichte haben dabei in den unterschiedlichen Redaktionen Umarbeitungen, Ergänzungen oder Kürzungen erfahren. Einzelne Gedichte wurden teilweise von Landino separat ediert und später in die Sammlung eingefügt. Die gesamte Gedichtsammlung hat Landino, im Gegensatz zu anderen seiner Werke, nie drucken lassen oder überhaupt einem größeren Publikum außer einigen Freunden zugänglich gemacht. Sie existierten nur handschriftlich, bis sie Anfang des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt und teilweise veröffentlicht wurden (Perosa VIIf. und LIIff.). Die einzige neuzeitliche Gesamtausgabe aller Gedichte Landinos legte Alessandro Perosa im Jahre 1939 vor, einzelne Gedichte finden sich dagegen verstreut auch in anderen Ausgaben, meist Anthologien zu mehreren Renaissancedichtern (s. Literaturliste).

(4) Perosa XXIIIf.

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(5) Holzberg 37 gibt für die durchschnittliche Länge eines Gedichtbuches in augusteischer Zeit ungefähr 800 Verse an.

(6) Der Vergleich der Medici-Herrschaft mit der Regierung des Augustus drängt sich auf und wurde wohl auch im 15. Jahrhundert gesehen, vgl. Tateo 51: „Umanisticamente Firenze prende il posto di Roma e la pace augustea diviene il modello della pace realizzata dai Medici ...“

(7) Savonarola (1452-1498) verurteilte u.a. das Studium der antiken Autoren (Buck: Dichtungslehren, 87).

(8) Vorwiegend nach Walter Zöllner / Ernst Ullmann: Florenz, in: Gurst u.a., 1586-1591.

(9) Alternative Namensformen und Geburtsorte nennt Cosenza Vol. 3, 1909.

(10) Weiss 19. Vgl. auch Ecker u.a. X. Beide verweisen in diesem Zusammenhang auf das Gedicht A1,24 (ed. Perosa), in dem Landino über seine Vorfahren spricht.

(11) Ecker u.a. Xf. nennen als Studienort neben Volterra auch Pavia (zumindest für das Jahr 1437).

(12) Ecker u.a. XI. Poggio setzte sich später für Landino ein, als der Lehrstuhl für Rhetorik und Poetik am Studio vergeben werden sollte (Perosa 199f.).

(13) Die Angaben über die Entstehungszeit des Buches schwanken in der Sekundärliteratur zwischen 1443-44, 1443-45 und 1444-1445. Nach der Art anderer Sammlungen von Liebesgedichten des 15. Jahrhunderts betitelte Landino sein Buch nach der geliebten und besungenen Frau: „Xandra“ (vgl. auch Enea Silvio de'Piccolomini: „Cynthia“ (oder „Cinthia“) und Giovanni Marrasio: „Angelinetum“, beide wohl in den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts). Die Identität dieser Frau ist nicht auszumachen und letztendlich auch ohne Belang. Vermutlich sind der Name und wohl auch die Person fiktiv, ähnlich wie es bei den römischen Elegikern und eben auch bei anderen Dichtern der Renaissancezeit außer Landino der Fall ist (vgl. Ijsewijn Bd. 2, 82: „It is, of course, vain to wonder whether all of the Neo-Latin Neaera's, Xandra's, Ursula's and others were real girls or rather fiction.“; anders Perosa XXXVIII, der an die Existenz einer Xandra glaubte und den Zeitpunkt zu rekonstruieren versuchte, an dem Landino sie kennen und lieben gelernt habe.). Es scheint auch, dass nicht so sehr eine Frau namens Xandra als vielmehr der kurz zuvor gewonnene Dichterwettbewerb den Anstoß für die Gedichtsammlung gegeben hat. L. B. Alberti hatte, wie bereits erwähnt, im Jahre 1441 einen Wettbewerb veranstaltet, an dem Landino nicht nur teilgenommen, sondern den er auch gewonnen hatte. Nun, 1443/4, könnte Landino als Dank und Empfehlung an L. B. Alberti für diesen sein Xandra-Buch zusammengestellt haben. (Der Gedanke klingt, ohne weiter ausgeführt zu werden, bei McLaughlin 168 an. Vgl. auch Ijsewijn Bd. 2, 83: „Throughout the whole Neo-Latin period elegies were also a favourite and cherished means for achieving social duties …“)

(14) Vgl. Zintzen 449: „Als Marsuppini 1453 starb, hegte der knapp 30-Jährige Aspirationen auf dessen Nachfolge, aber nach langen Querelen wurde 1457 auf maßgebliche Intervention von Alamanno Rinuccini und Donato Acciaiuoli der Grieche Argyropoulos auf diesen Lehrstuhl berufen.“ Weiss 20 weist darauf hin, dass Landino wohl schon seit 1454 am Studio gelehrt habe; in seiner Rede, die er 1481 anlässlich der Überreichung seines Dante-Kommentars hielt, spricht Landino davon, dass er seit 27 Jahren an der Florentiner Universität lehre (vgl. Zintzen 452).

(15) Vgl. Zintzen 451. Lorenzo de'Medici war darüber hinaus Schüler Landinos am Studio , und beide, Lorenzo und Landino, waren Mitglieder sowohl des Chorus Academiae Florentinae als auch der Platonischen Akademie (Zintzen 453). Vgl. Cosenza Vol. 3, 1914: „1480: Lorenzo il Magnifico asked him [Landino, Verf.] to lecture on Dante.“

(16) Landino erhöht die Personen L. B. Albertis und L. de'Medicis, indem er dem einen die Verteidigung der vita contemplativa , dem anderen diejenige der vita activa in den Mund legt und die beiden dadurch zu den Hauptrednern werden lässt. Die Diskussion beruht auf der zeitgenössischen Auslegung der platonischen Philosophie, wie sie damals v.a. von Ficino vertreten wurde (vgl. Zintzen 453); Buch 1: de vita activa et vita contemplativa , Buch 2: de summo bono , Buch 3 und 4: Vergilallegorien.

(17) Auch dieser Dialog spielt in der Vergangenheit, namentlich im Dezember 1469, kurz nach dem Tode Piero de'Medicis. Im Hause Lorenzos findet ein Bankett statt anlässlich des Besuchs des Prinzen Filotino von Konstantinopel, der aus Rom gekommen war, um Lorenzo sein Beileid zum Tode des Vaters auszudrücken. An dem Gespräch nehmen u.a. G. Becchi, A. Poliziano, L. B. Alberti, M. Ficino, Argyropoulos, A. Rinuccini, die Brüder Acciaiuoli sowie Landino selbst teil. Die beiden Hauptpersonen jedoch sind zwei athenische Philosophen mit sprechenden Namen: Aretophilus und Philotimus; sie sind nicht historisch, sondern wurden von Landino erfunden. Der Dialog ist Lorenzo de'Medici gewidmet (vgl. Zintzen 457).

(18) Weiss 126, Anm. 54: „... in einer Handschrift erhalten in der Biblioteca Ambrosiana, Milano“; aus der Sekundärliteratur wird jedoch nicht deutlich, ob es sich um einen Autographen handelt oder um eine Abschrift. Neben den genannten Werken sind noch verschiedene Reden und Briefe Landinos erhalten.

(19) Cosenza Vol. 3, 1909 gibt verschiedene Todesjahre an: 1492, 1498, 1504; Lentzen 13, Anm. 39 bezeichnet das Jahr 1498 als durch die neuere Forschung gesichert; Ludwig 188 nennt als Todesjahr Landinos wieder 1504, ebenso Haig Gaisser 215 (beide vermutlich nach A. M. Bandini: Specimen Literaturae Florentinae Saeculi XV. Florenz 1747-1751).

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(20) Im Corpus Tibullianum werden nicht nur eine, sondern drei geliebte Personen besungen (Delia, Marathus, Nemesis).

(21) Holzberg 15.

(22) Als nicht-antike Vorlage wäre darüber hinaus für Motivik und Struktur des Buches Petrarca zu nennen.

(23) Bömer Bd. 3, 134.

(24) Über die Nähe der Gedichte Catulls zu den römischen Elegikern s. Holzberg 12ff.

(25) Die Anrede an die Geliebte bei Landino sowohl als bei Catull kann natürlich auch als innerer Monolog des Dichters gelesen werden. Man beachte auch die Veränderung der Perspektive: Während Catull in der zweiten bzw. dritten Person spricht, verwendet Landino die erste, was sein Gedicht noch persönlicher erscheinen lässt.

(26) Landino zitiert ferner Einzelverse aus anderen Gedichten Catulls (s. Interpr.), die in folgenden Metren verfasst sind: Variation des femina-amata -Motivs bei Catull c. 37: Choliambus, c. 58: Hendekasyllabus, c. 87: elegisches Distichon, zum Nebenbuhler: c. 11: sapphische Strophe, zum unfreiwilligen Verlassen: c. 66: elegisches Distichon.

(27) Auch hier, wie bereits in V. 8, mit doppeltem iam als Bekräftigung. Zum Problem des Wortlautes est quoque s. Komm. zu V. 12.

(28) Catull. 8,9f.: nunc iam illa non vult: tu quoque, inpotens, noli / nec quae fugit sectare, nec miser vive … Für diese Verse gibt es jedoch bereits Gegenstücke in Landinos Gedicht (s. Interpr.).

(29) Man beachte das servitium -Motiv.

(30) Das zweifache quotiens (V. 17) bekräftigt die Voraussage bei Landino; man beachte ferner die Übernahme der Vokabel rogare durch Landino (V. 17; Catull. 8,14 (und 8,13)); aus scelesta bei Catull (8,15) wird insidiosa bei Landino (V. 18).

(31) Vgl. in diesem Sinne auch die letzte Strophe bei Catull 11.

(32) Die Tatsache, dass Landino die letzten Verse in der Neuauflage auslässt, zeigt, dass er Xandra besonders dort nicht mit den Zügen einer Dirne ausstatten wollte. Doch bereits hier, in der älteren Fassung wird deutlich, dass er das hetärenhafte Verhalten im Vergleich zu den puellae in seinen antiken Vorlagen zumindest abschwächen wollte. Xandra wird auch nur an dieser Stelle auf diese Weise dargestellt und mit einem anderen Liebhaber in Verbindung gebracht.

(33) Nicht so Haig Gaisser 218, die keinen inneren Konflikt des Dichters sieht, sondern eine klare Auseinandersetzung zwischen ihm und Xandra, wobei Landino stets fest seine Position vertrete: „... the dialogue or drama, so far as there is one, is not internal, but rather between himself and Xandra: the poet is not in conflict with himself, and his resolve never falters.“ Doch allein die Fragen an Xandra und an sich selbst (V. 3-8) scheinen mir in eine andere Richtung zu weisen und sehr wohl ein Schwanken des Dichters zwischen Hoffnung und Verzweiflung auszudrücken.

(34) Zur Verteidigung der Humanistenlektüre allgemein gegen den Vorwurf der Vernachlässigung des antiken Originals vgl. z.B. U. Frings: Neulateinische Literatur im Lateinunterricht. In: AU 27, 6/1984, 9.