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Das sächsische Staatsministerium für Kultus führte im Rahmen des Projekts „Griechisches Gedankengut und sein Weiterwirken in Europa“ bereits zum zweiten Mal ein Seminar für Griechisch-Schülerinnen und -Schüler aus fünf Bundesländern durch, das vom 3.-6. 12. 2003 in Leipzig in der Sportschule „Egidius Braun“ des Sächsischen Fußballverbandes stattfand. Thema der Veranstaltung war „Frühgriechische Lyrik: Dichtung mitten im Leben“. Die 21 Schülerinnen und 16 Schüler aus fünf Bundesländern (Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhrein-Westfalen, Sachsen, Thüringen) wurden von einem fünfköpfigen Lehrerteam betreut, von Reinhard Bode (Ernst-Abbe-Gymnasium, Eisenach), Robert Büttner (Ratsgymnasium, Bielefeld), Dr. Stefan Kipf (Freie Universität Berlin; Konzeption und Leitung), Peter Maass (Thomasschule, Leipzig) und Dr. Brigitte Wilke (Staatliches Studienseminar, Karlsruhe). Da es sich bei diesem Projekt des Sächsischen Staatsministeriums um eine bundesweit wohl einzigartige und unbedingt nachahmenswerte Veranstaltung im Bereich des altsprachlichen Unterrichts handelt, sollen im Folgenden Konzeption, Durchführung und Evaluation ausführlich vorgestellt werden.
Die Beschäftigung mit der griechischen Sprache und Literatur bietet das Erlebnis von Ursprungsprozessen, die die europäische Kultur bis heute nachhaltig prägen. Durch die sprachliche und inhaltliche Arbeit mit griechischen Texten erhalten die Schülerinnen und Schüler eine Einführung in grundlegende Formen europäischer Literatur, in mythologische Grundmuster sowie in die Fundamente abendländischer Philosophie und politischer Systeme; sie lernen bedeutende Beispiele der antiken bildenden Kunst und Architektur sowie ihrer Rezeption in Europa kennen. Da Griechisch auch die Ursprache des Neuen Testaments ist, erhalten sie anhand der originalen Quellen einen Einblick in die Grundlagen christlicher Religion. Auch die von den Schülerinnen und Schülern systematisch erlernte und intensiv reflektierte Sprache der antiken Griechen lebt in zahlreichen Begriffen in den modernen Sprachen fort und wird bis heute in ihrer modernen Erscheinungsform, dem Neugriechischen, geschrieben und gesprochen. Zusätzlich stellt die griechische Literatur ein großes Reservoir von Texten zur Verfügung, die die Schülerinnen und Schüler mit Grundproblemen und Bedingungen
des menschlichen Lebens konfrontieren und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation anregen können. Auf dieser Grundlage fördert die Beschäftigung mit der griechischen Literatur sprachliche, kulturelle und personelle Kompetenzen und vermittelt ein Orientierungswissen, das für die Gegenwart wichtige, langfristige Qualifikationen bietet. Insgesamt wird die Entwicklung einer historisch fundierten europäischen Identität nachhaltig unterstützt.
Diese didaktischen Gesichtspunkte mit ihrer spezifisch europäischen Tiefenschärfe sind von entscheidender Bedeutung für das Projekt: Die Schülerinnen und Schüler sollten durch die sprachliche Erschließung ihnen bisher unbekannter, literarisch bedeutsamer Originaltexte die Gelegenheit erhalten, sich im Rahmen der Textinterpretation intensiv mit antiken Denkmodellen auseinander zu setzen, über ihre Bedeutung für die europäische Kultur in Vergangenheit und eigener Gegenwart zu reflektieren und darüber hinaus den behandelten Text auch nach- oder neuzugestalten. Historische Kommunikation und existentieller Transfer bildeten somit bedeutsame Ziele der Projektarbeit.
Des weiteren diente das Projekt der besonderen Förderung methodischer Kompetenzen, die über den sprachlichen und inhaltlichen Rahmen des Griechischunterrichts hinausweisen. Die Schülerinnen und Schüler sollten den Lern- und Arbeitsprozess zielorientiert, ökonomisch und kreativ gestalten und vorhandene Aneignungs-, Verarbeitungs- und Präsentationsmethoden anwenden, vertiefen und erweitern. Im Vordergrund sollten daher Arbeitsformen stehen, die Selbsttätigkeit und Teamfähigkeit entwickeln, systematisches Vorgehen und kreatives Handeln erfordern sowie kritische Medienkompetenz und individuelle Ergebnisbewertung positiv weiterentwickeln. Besonderes Augenmerk galt der Förderung inhaltlich und methodisch anspruchsvoller Präsentationsformen. Da sich die beteiligten Schülerinnen und Schüler erst am Tagungsort kennenlernten, erhielt methodisch zielgerichtetes Arbeiten zusätzliche Bedeutung, um einen erfolgreichen Arbeitsablauf sicherzustellen.
Nicht zuletzt hatte das Projekt die Aufgabe, personale und soziale Kompetenzen zu fördern: So sollte es nicht allein um einen möglichst schnellen, methodisch abgesicherten Wissenserwerb gehen, sondern auch um eine komplexe Förderung von Begabung und Persönlichkeit. Im Rahmen der Arbeit an einem für die Schülerinnen und Schüler unbekannten und diffizilen Themenkomplex sollte Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und der Mut zu kreativen Lösungsansätzen gefördert, zugleich aber auch kritische Selbstwahrnehmung in der Zusammenarbeit mit den anderen Gruppenmitgliedern nicht außer acht gelassen werden. Ferner sollten die Teilnehmer befähigt werden, sich in kurzer Zeit aufeinander einzustellen, Verantwortung im Team zu übernehmen und Kooperationsfähigkeit zu zeigen, um erfolgreich zusammen zu arbeiten und eine inhaltlich wie methodisch anspruchsvolle Präsentation
der Arbeitsergebnisse realisieren zu können. Schließlich wurde das Projekt auch unter einem kommunikativen Aspekt geplant: Schülerinnen und Schüler aus fünf Bundesländern erhielten die Gelegenheit, in einem nicht mehr nur schulbezogenen, sondern überregionalen Umfeld Erfahrungen über das gemeinsame Fach Griechisch auszutauschen und voneinander zu lernen. Insgesamt ist offensichtlich, dass der didaktisch-methodische Zuschnitt des Projekts die Schülerinnen und Schüler vor überdurchschnittliche Anforderungen stellen musste. Dieser Akzent ist jedoch ein wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzepts, da das Projekt als ein Beitrag zur Begabtenförderung verstanden werden soll und sich daher in erster Linie an leistungsstarke Schülerinnen und Schüler richtet, die sich im dritten Jahr Griechisch lernen. Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler befanden sich im Alter von 14 bis 18 Jahren und besuchten die 9-11. Klasse, hatten in der Regel die Spracherwerbsphase durchlaufen und verfügten z. T. über erste Erfahrungen mit der Originallektüre.
Mit dem Schwerpunkt „Frühgriechische Lyrik: Dichtung mitten im Leben“ sollte es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden, Einblicke in die Anfänge einer zentralen Grundform europäischer Literatur zu erhalten. Dabei sollte in sinnvoller Weise an bereits vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen angeknüpft werden, da die Schülerinnen und Schüler bereits in anderen sprachlichen Fächern (Deutsch, Latein, Englisch, Französisch) einen ersten Zugang zu lyrischer Dichtung erhalten haben dürften. Durch das Projekt sollten diese Kenntnisse gezielt historisch und literarisch fundiert werden. Zugleich wurden Ausblicke auf die europäische Tradition gegeben, indem thematisch passende lyrische Gedichte aus späteren Epochen als Rezeptions- oder Vergleichsdokumente in die Projektarbeit eingebunden wurden.
Außerdem erwies sich ein spezifisches Charakteristikum der frühgriechischen Lyrik für die Ziele der Projektarbeit als besonders ergiebig: Im Zentrum dieser literarischen Gattung stehen das Individuum, das Erwachen seines kritischen Bewusstseins und konkrete Fragen seiner persönlichen, ganz alltäglichen Lebensgestaltung in der archaischen Gesellschaft. Beispielsweise gibt uns Archilochos, der früheste Lyriker aus dem 7. Jh. v. Chr., Auskunft über sein unruhiges Leben als Söldner und spottet über die Schwächen seiner Mitbürger, wobei er insbesondere den Adel aufs Korn nimmt; auch Erotisches fehlt bei ihm nicht. Leidenschaftliche persönliche Gefühle wie Liebe, Abschied und Sehnsucht sind für die Dichterin Sappho (7./6. Jh. v. Chr.) charakteristisch. Instruktive Beispiele sympotisch-erotischer Dichtung finden sich bei Alkaios (7./6. Jh. v. Chr.) und Anakreon (6. Jh.). Dagegen erläutert der athenische Staatsmann Solon (640-560) in seinem Werk eigene Wertvorstellungen und die Grundsätze seiner Politik, wobei er mit Nachdruck gesellschaftliche Missstände kritisiert; auch Theognis von Megara (6./5. Jh.), der trotz adliger Herkunft in Armut leben muss, liefert wertvolle Einblicke in die schwierigen gesellschaftlichen Umbrüche seiner Zeit.
Didaktisch besonders ergiebig ist somit, dass die Schülerinnen und Schüler - im Gegensatz zu vielen anderen literarischen Quellen - mit dem Dichter als Individuum konfrontiert werden, das im eigenen Namen über persönliche Empfindungen und Lebensumstände Auskunft gibt und den Schülern vielfältige Erfahrungen von Fremdheit und Nähe vermittelt. Hierdurch erhalten die geschilderten Probleme und Affekte zusätzliche Plastizität und Anschaulichkeit. Insgesamt gewinnen Schülerinnen und Schüler bei der Beschäftigung mit frühgriechischer Lyrik (künstlerisch verarbeitete) Einblicke in das Alltagsleben; sie erfahren, dass sich hinter adliger Abkunft keine hochstehende Moral, sondern eben auch Habsucht, Dummheit und Überheblichkeit verbergen können, und erkennen, dass in einer für uns kaum mehr vorstellbaren Weise das Leben von der Sorge um die fundamentalen Grundbedürfnisse bestimmt wurde, dass jedoch schöpferisch-künstlerische Tätigkeit Lebensmut verleihen kann. Frühgriechische Lyrik darf somit als eine Form der Lebensbewältigung verstanden werden.
Diese Komponenten haben mit Sicherheit positive Auswirkungen auf die Bereitschaft der Schüler, sich auf den jeweiligen Text einzulassen, und sich in kreativer Weise, also z. B. durch Nach- oder Neugestaltung, mit ihm zu beschäftigen. Im Rahmen der Projektarbeit sollten somit existentieller Transfer und historische Kommunikation, zwei zentrale und doch immer wieder schwer zu erreichende Hauptanliegen des altsprachlichen Unterrichts und Grundbedingungen für die intendierte gegenwartsbezogene Textreflexion, gute Chancen auf Verwirklichung haben. Allerdings darf die Textpragmatik nicht zu komplex sein, etwa durch die Bezugnahme auf entlegene mythologische Inhalte.
Auch im sprachlichen Bereich weisen die lyrischen Gedichte verschiedene didaktische und methodische Vorzüge auf. Hierzu zählt ihr in der Regel relativ überschaubarer Umfang. Die Kleine Form lässt daher in besonderem Maße die Lektüre in sich geschlossener, zusammenhängender Textpartien zu. Dieser Sachverhalt war gerade für die Durchführung des Projekts von Bedeutung, da angesichts des umfangreichen Arbeitsprogramms die inhaltliche Geschlossenheit der Texte eine wesentliche Voraussetzung für eine methodisch stringente Bearbeitung und erfolgreiche Präsentation darstellte. Selbstverständlich musste bei der Auswahl auf ein angemessenes sprachliches Niveau geachtet werden, um die beteiligten Schülerinnen und Schüler nicht zu überfordern. Neben kunstvoller sprachlicher Gestaltung bereiten nämlich vor allem dialektale Formen Schwierigkeiten, die vom bekannten attischen Muster abweichen. Abhilfe konnte hier leicht durch entsprechende Hinweise in einem Schülerkommentar gegeben werden. Sollten einzelne Schüler bereits Lektüreerfahrungen mit dem ionischen Dialekt (z. B. durch die Homer- oder Herodotlektüre)
gewonnen haben, ließen sich die Schwierigkeiten entsprechend verringern. Zusätzlich kann sich der fragmentarische Überlieferungszustand und die unterschiedliche Länge zahlreicher Gedichte als nicht unproblematisch erweisen. Während z. B. die Elegien Solons in ausreichendem Umfang geschlossene, längere Textpartien bieten, aus denen leicht ein Zentraltext gewonnen werden kann, gelingt dies beispielsweise bei Archilochos weniger reibungslos; in seinem Fall war für die Gewinnung der Textgrundlage darauf zu achten, dass die ausgewählten Passagen ein inhaltlich geschlossenes und repräsentatives Textarrangement ergaben. Lückenhaft überlieferte Partien sollten nur dann ausgewählt werden, wenn ein sinnvoller Inhalt erschlossen werden konnte. Eine inhaltlich und sprachlich disparate Pröbchenlektüre sollte auf jeden Fall vermieden werden. Obwohl spezielle metrische Probleme in Anbetracht der z. T. recht komplizierten Versmaße keine zentrale Stellung beanspruchen konnten, sollte das Rezitieren der griechischen Texte nicht vernachlässigt werden. Insgesamt war sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler nach Abschluss des Projekts einen repräsentativen Einblick in Inhalte und Formen frühgriechischer Lyrik gewinnen konnten.
III. 1 Organisationsplan
Mittwoch,
3. 12. 2003 |
Anreise, Vorstellung des Projekts und der Teilnehmer, Themenwahl durch die Schüler, Recherche zu den Autoren
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Donnerstag,
4.12.2003 |
Texterschließung, Interpretation, kreative Bearbeitung (9-18 Uhr) Stadtrundfahrt, gemeinsames Essen
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Freitag,
5.12.2003 |
Texterschließung, Interpretation, kreative Bearbeitung (9-13 Uhr), Präsentation (15-18 Uhr)
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Samstag,
6.12.2003 |
Präsentation, Abschlussdiskussion (9-12 Uhr) Abreise
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III. 2 Methodische Grundsätze
- Sozialform: Die Arbeit erfolgt in Form von Gruppenarbeit, und zwar in vier, altersmäßig und landsmannschaftlich gemischten Teams, die von je einem Mitglied aus dem Lehrerteam betreut werden.
- Selbsttätigkeit als Grundprinzip: Bei der Förderung methodischer Kompetenzen wird insbesondere der Selbsttätigkeit große Aufmerksamkeit geschenkt. Dies gilt für die Aufgabenverteilung innerhalb der Gruppe, für die Organisation und Gestaltung der einzelnen Arbeitsphasen, für die Informationsbeschaffung, -verarbeitung und -bewertung und natürlich für die kreativ-künstlerische Bearbeitung.
Dementsprechend müssen den Schülerinnen und Schülern Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden: Lexika, Grammatiken, knappe Schülerkommentare, zweisprachige Textausgaben griechischer Lyriker, grundlegende Sekundarliteratur und Internetadressen. Technische Hilfsmittel sind ebenfalls unverzichtbar: PC mit Textverarbeitung, Internetanschluss, Beamer, Kassettenrecorder, ggf. Videotechnik. Um die Arbeit der Schülerinnen und Schüler nicht unstrukturiert ablaufen zu lassen, empfehlen sich zusätzlich methodische Hinweise und Handreichungen (z. B. Einleitende Einführung, Erstellung eines Arbeitsplans, Liste von Präsentationsmöglichkeiten), die von den betreuenden Lehrern nach Maßgabe der Dinge eingebracht werden. Die Hauptaufgabe der Lehrer besteht darin, die Arbeit zu begleiten und inhaltliche und methodische Hilfestellungen zu leisten, um Missverständnisse und Irrwege zu vermeiden.
- Textumfang und thematische Autorenlektüre: Aufgrund der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit überschreitet der Textumfang nicht mehr als 180 Wörter (Abituranforderungen), um die Schüler nicht zu überfordern. Bilinguale oder deutsche Passagen können eingezogen werden. Die Lektüre ist nach dem Prinzip der thematischen Autorenlektüre konzipiert, um den Erstzugang zu den Texten und die Konzentration auf inhaltliche Schwerpunkte zu erleichtern. Die konkrete Themen-, Autoren- und Textauswahl sowie die Erstellung der Arbeitsmaterialien wurde für jeweils eine Gruppe von einem spezialisierten Mitglied des Lehrerteams vorgenommen. Folgende Themen wurden festgelegt:
- Freude und Leidenschaft: Anakreon
- Der Spötter Archilochos
- Der Mensch zwischen Glück und Leid in der Liebe: Sappho
- Dichtung und Politik: Solon
- Arbeitsphasen:
1. Ausführliche Vorstellung des Projekts durch das Lehrerteam, Themenwahl durch die Schüler, Einführung in die vorhandenen Hilfsmittel und ihre korrekte Benutzung.
2. Recherchen zu Person und historischen Hintergründen des Autors.
3. Intensive sprachliche Erschließung (Dekodierung, Rekodierung), Ergänzung durch andere Formen der Textarbeit (z. B. bilinguale Lektüre, Sprachvergleich).
4. Phase der Interpretation unter einem thematisch einheitlichen Aufgabenkatalog (sprachliche Gestaltung; die Person des Dichters, d. h. Selbstverständnis, Intentionen; mögliche Wirkungen beim antiken und modernen Leser sowie Ausblicke auf die europäische Literaturtradition) sowie Zwischenberichte der Gruppen über den Stand der Arbeiten.
5. Kreativ-künstlerische Bearbeitung des Textes unter Herstellung eines impliziten oder expliziten Gegenwartsbezugs.
6. Präsentation der Ergebnisse der Sprach- und Interpretationsarbeit (in methodisch abwechslungsreicher Form) und der kreativ-künstlerischen Bearbeitungen. Höchstdauer: 90 Minuten.
7. Abschlussdiskussion zum Verlauf der Seminars.
- Arbeit und Entspannung: Trotz des dichten Arbeitsprogramms muss für die Teilnehmer auf jeden Fall genügend Raum für Phasen der Entspannung bleiben, um sich gegenseitig kennen lernen zu können. Neben den gemeinsamen Mahlzeiten gehörte hierzu eine gemeinsame Stadtrundfahrt durch Leipzig.
Eine Evaluation soll detailliert darüber Auskunft geben, inwieweit die intendierten Ziele erreicht wurden. Grundlage bilden die kontinuierlichen Beobachtungen des Projektleiters und die Auswertung von Fragebögen, die von den Schülern ausgefüllt und vom Projektleiter ausgewertet wurden.
IV. 1 Organisation und Verlauf
IV. I. 1 Unterbringung in der Sportschule, Arbeitsmaterialien und Tagungsräume
Grundlage der gemeinsamen Arbeit bildete die exzellente räumliche und technische Ausstattung der Fußballschule: Den Schülern standen nicht nur großzügige Tagungsräume zur Verfügung, sondern auch mehrere Notebooks, ein Scanner, ein Kopiergerät sowie eine umfangreiche Handbibliothek mit ca. 70 Titeln (Lexika, Literaturgeschichten, Textausgaben, Sekundärliteratur), die sowohl vom SMK als auch vom Lehrerteam bereitgestellt wurde. Ferner erhielten die Schüler Schreibunterlagen, Stifte, Mützen und Tagungstaschen. Insgesamt kann man die materielle Ausstattung des Seminars als vorbildlich bezeichnen. Als einziger Wermutstropfen bleibt festzuhalten, dass trotz intensiver Bemühungen der avisierte Internetanschluss nicht hergestellt werden konnte.
IV. 1. 2 Programmverlauf
Insgesamt konnten die Vorgaben des Programms gut eingehalten werden.
Begrüßung und Beginn der Arbeit
Nach der Vorstellung des Lehrerteams erhielten die Schülerinnen und Schüler in einer Kurzvorstellung der Teilnehmer erste Gelegenheit, sich kennen zu lernen. Nach Bekanntgabe des Seminarthemas erfolgte der Beginn der inhaltlichen Arbeit mit einem Powerpoint-Vortrag von Herrn Bode, in welchem ein knapper literaturgeschichtlicher Überblick zur griechischen Lyrik, ihren literarischen Merkmalen und historischen Hintergründen geboten wurde. Dabei wurden erste Informationen über Anakreon, Archilochos, Solon und Sappho gegeben, die im Mittelpunkt des Seminars stehen sollten.
Danach stellten die Gruppenleiter dem Plenum Inhalte, Schwerpunkte und Methoden ihrer Arbeitsgruppen vor, auf deren Grundlage sich die Schüler für ein Thema entscheiden sollten. Bei der Gruppenwahl wurde eine Art Hammelsprung-Verfahren gewählt, mit dessen Hilfe innerhalb weniger Minuten die Arbeitsgruppen (9-11 Mitglieder) gebildet werden konnten. Nach Zusammensetzung der Gruppen erfolgte in den jeweiligen Seminarräumen eine erste Einweisung der Gruppen durch die Gruppenleiter. Nach dem gemeinsamen Abendbrot um 19.00 Uhr zogen sich die Gruppen noch einmal zur Arbeit zurück, die erst nach 22.00 Uhr beendet wurde.
- Arbeit in den Gruppen
Insgesamt hat sich der projektorientierte, auf Selbstständigkeit zielende Ansatz voll bewährt. Die Arbeitsgruppen gestalteten ihre Arbeit so, dass die Einflussnahme der Gruppenleiter deutlich geringer als erwartet ausfiel. Die Hilfen des Lehrerteams beschränkten sich auf folgende Bereiche:
- Die Schüler erhielten Aufgabenblätter mit Hinweisen zu Zielen des jeweiligen Projekts, zu möglichen Arbeitsmethoden sowie verschiedenen Präsentationsformen. Ferner wurden z. T. recht umfangreiche Materialsammlungen zur Verfügung gestellt, die Texte der jeweiligen Dichter, einführende Sekundärliteratur sowie Rezeptionsdokumente boten. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert das Aufgabenblatt der Solon-Gruppe. Diese Hilfestellungen lieferten die notwendigen sprachlichen und sachlichen Orientierungshilfen und vermittelten zusätzliche Impulse für die kreative Arbeit.
- Die Gruppenleiter führten in regelmäßigen Abständen Besprechungen über den jeweiligen Stand der Arbeiten durch; hierbei wurden strukturelle Hilfen gegeben, Diskussionen initiiert und inhaltliche sowie methodische Anregungen für die weitere Arbeit gegeben. Allerdings unterschied sich die Intensität der Hilfen: Insbesondere bei künstlerischen Präsentationsvorhaben mit Gesang und Tanz begleiteten und unterstützten einzelne Gruppenleiter in besonders intensiver Weise Gestaltung und Einstudierung der Präsentationen.
- Für spontane Fragen einzelner Schüler - z. B. bei der Literatursuche oder technischen Problemen - stand das gesamte Lehrerteam jederzeit zur Verfügung. Der Aufenthaltsraum des Lehrerteams fungierte als Bibliothek und stand allen Schülerinnen und Schülern ständig offen. Diese Möglichkeit zur informellen und effektiven Problemerörterung wurde von den Schülerinnen und Schülern intensiv genutzt und trug ganz wesentlich zum ausgesprochen positiven Verhältnis von Schülern und Lehrerteam bei.
Innerhalb der Gruppen verlief die Arbeit jedoch unterschiedlich kooperativ: Während die Solon- und Archilochos-Gruppe allem Anschein nach harmonisch funktionierende Einheiten bildeten, die recht schnell zu einem produktiven Miteinander finden konnten, zeigten sich vor allem in der Sappho- und Anakreon-Gruppe Probleme. In der Sappho-Arbeitsgruppe ergaben sich Friktionen, da grundlegende Meinungsverschiedenheiten über Vorgehensweise und Schwerpunktsetzung existierten, die ganz offensichtlich aus unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Griechischunterricht resultierten:
Genuin philologisches Textinteresse mit einer entsprechend stark gewichteten Übersetzungstätigkeit schien sich allem Anschein nach nicht mit einer auf Verlebendigung und künstlerischen Umsetzung bedachten Textarbeit in Einklang bringen zu lassen. Dieses Problem führte zu einer weitgehenden Trennung der Gruppe in der Arbeitsphase, hatte jedoch keinerlei negativen Einfluss auf die Qualität der Präsentation. Gründe für die Spannungen in der Anakreon-Gruppe ergaben sich aus offensichtlich mangelndem Interesse von drei Schülern an der gemeinsamen Arbeit und dem Projekt insgesamt.
In der für die Gruppenarbeit zur Verfügung stehenden Arbeitszeit herrschte hohe Konzentration vor, die sich gegen Ende hin zu einer deutlich spürbaren Anspannung und z. T. hektischen Betriebsamkeit steigerte. Obwohl die Schülerinnen und Schüler bei der Einführung darauf hingewiesen worden waren, dass das Seminar keinen Wettbewerb mit Siegern und Verlierern darstellt, zeigten die Beteiligten bereits bei der Einstudierung der Präsentationen großes Engagement. Das unterschiedliche Alter der Schüler machte sich bei der Gruppenarbeit in keiner Weise negativ bemerkbar und hatte sogar belebende Wirkung.
Bei der Planung des Seminars gab es durchaus Zweifel, inwieweit die Schüler in der Lage sein würden, die griechischen Texte zu verstehen und in angemessenes Deutsch zu übertragen. Diese Sorge erwies sich jedoch als unbegründet. Durch offensichtlich gute sprachliche Kenntnisse, die intensive Zusammenarbeit untereinander, die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sowie durch geschickte Aufteilung der Aufgaben in überschaubare Abschnitte wurde die Textarbeit schneller und erheblich reibungsloser erledigt als erwartet. Zusätzlich muss hervorgehoben werden, mit welcher Sicherheit sich die Schüler bei Erarbeitung und Präsentation elektronischer Medien bedienten.
- Stadtrundfahrt
Insgesamt stieß die ‚Exkursion‘ als interessante Abwechslung auf ein durchaus positives Echo. Bemängelt wurde, dass nicht genug Raum für Gespräche gewesen sei, um sich über die Gruppen hinweg noch besser kennenzulernen. Insofern sollte bei einer nächsten Veranstaltung darüber nachgedacht werden, außerhalb der eigentlichen Projektarbeit noch bessere Möglichkeiten des persönlichen Kennenlernens zu ermöglichen. Dieser Eindruck wurde auch in der Schülerbefragung bestätigt.
IV. 2 Präsentationen der Arbeitsgruppen
IV. 2. 1 Archilochos-Gruppe
Die Schüler erhielten vom verantwortlichen Kollegen eine Materialsammlung mit verschiedenen Gedichten (PDF-Datei). Daraus sollte eine Auswahl vorgenommen werden, bei der Interpretation sowie die künstlerische Hör- und Sichtbarmachung des Textes im Vordergrund stehen sollten. Die Übersetzung der Texte war freigestellt, mindestens bilinguale Arbeit aber zwingend notwendig, da bei der Interpretation die vorliegenden Übersetzungen kritisch mit dem Original verglichen werden sollten. Aus dem zur Verfügung stehenden Material wählten die Schülerinnen und Schüler insgesamt fünf Gedichte aus:
- Ich bin ein Knappe: Archolochos stellt sich als Soldat und Dichter vor (1 West)
- Archilochos berichtet von einer Sonnenfinsternis und liefert damit das erste datierbare Gedicht der europäischen Literatur (122 West)
- Archilochos zeigt sich als erotischer Dichter in der sog. „Kölner Epode“ (Latacz 32)
- Archilochos widerspricht dem heroischen Bild der Antike: Er wirft im Kampf seinen Schild weg, um sein Leben zu retten (5 West)
- Archilochos verkündet sein Credo, sich nicht unterkriegen zu lassen: Herz, mein Herz ...: Standgehalten! Bleibe fest nur! Wehr dich! (128 West)
Diese Gedichte wurden von der Gruppe auf Griechisch vorgetragen, wobei besonderer Wert auf eine ansprechende künstlerische Umsetzung gelegt wurde, um den griechischen Text durch Gesang, musikalische Unterstützung und tänzerische Elemente eindrucksvoll zu interpretiereren.
Zwischen den Textdarbietungen erhielten die Zuschauer zahlreiche Sachinformationen (Biographie und Werk des Dichters Archilochos, das lyrische Ich, historische Begleitumstände) und Hinweise zur Interpretation und Übersetzung der jeweiligen Gedichte. Zur Veranschaulichung wurde eine Power-Point-Präsentation erstellt. Am Ende der Präsentation wurden die Zuhörer aufgefordert, Fragen zur Darbietung zu stellen; nach zunächst sehr zögerlicher Reaktion wurden nur wenige Fragen zur Arbeitsweise und Einstudierung der künstlerischen Teile an die Gruppe gerichtet.
Insgesamt handelte es sich um eine sehr abwechslungsreiche und eindrucksvolle Präsentation, die nicht nur durch klar strukturierte Sachinformationen, sondern vor allem durch die künstlerisch-musikalische Umsetzung der Gedichte beeindruckte. Obwohl der Gruppenleiter bei der Choreographie klare Vorgaben gemacht hatte, wirkte sich diese Form der Regie – auch in der Einschätzung der Schüler - keineswegs negativ aus, da das Gelingen der Präsentation letztlich von der persönlichen Umsetzung der Schüler abhängig war. Die Präsentation dauerte insgesamt 45 Minuten.
II. 2 Sappho-Gruppe
Diese Gruppe hatte die Aufgabe, den Zuschauern zwei bekannte Gedichte aus dem Oeuvre der griechischen Dichterin vorzustellen, nämlich die Ode an Aphrodite (1 D) und das Gedicht über die Symptome der Liebe (2 D). Nach der Erarbeitung des historischen und biographischen Hintergrunds sollten die Texte übersetzt werden. Laut Aufgabe sollte eine Präsentation erarbeitet werden, „die zum einen die Ergebnisse der sprachlichen Arbeit an den Texten den anderen Gruppen veranschaulichen soll“, andererseits sollten die Schüler „eine kreativ-künstlerische Umsetzung dieser Texte präsentieren.“ Für die kreative Umsetzung wurde den Schülern allein die Praktikabilität als Rahmen gesetzt: „Denkbar sind die Umsetzung als Theaterstück, als Collage oder ähnliches Kunstwerk, als neu erstellte Dichtung ... Wichtig ist vor allem, dass sich eure Umsetzung am Ende auch in einer praktikablen Form präsentieren lässt.“
Besonderes Kennzeichen dieser auf nur 30 Minuten beschränkten, sehr kompakten Präsentation war das Nebeneinander von künstlerischer Umsetzung und sehr sorgfältiger philologischer Arbeit. Nach der Klärung der historischen Hintergründe wurde das Gedicht über die Symptome der Liebe von der Gruppe vorgesungen, wobei die Zuschauer als abwechselnd klatschende und mit den Fingern schnipsende ‚Rhythmusgruppe‘ in die Darbietung einbezogen wurden.
Danach folgte eine sehr sorgfältige, schrittweise unter Hinzuziehung eines OH-Projektors vorgetragene Übersetzung samt Interpretation. Ähnlich klar strukturiert war die Vorgehensweise beim Aphroditehymnus: Nach dem überzeugenden griechischen Vortrag, der durch eine bildnerische Umsetzung des Gedichtes zusätzlich veranschaulicht wurde, folgten Übersetzung, Paraphrase und Interpretation. Mit Hilfe des OH-Projektors wurde dann eine genaue stilistische Analyse des Textes vorgenommen und die Begriffe auf der Folie für alle gut sichtbar eingetragen. Am Schluss beantworteten die Gruppenteilnehmer Fragen zur Arbeitsweise.
II. 3 Anakreon-Gruppe
Der Anakreon-Gruppe wurden die umfangreichsten Arbeitsmaterialien zur Verfügung gestellt: Die Schülerinnen und Schüler erhielten als Textgrundlage eine Sammlung aus insgesamt 13 Gedichten Anakreons, aus denen für die Präsentation eine Auswahl vorgenommen werden sollte. Zur Interpretation und kreativen Umsetzung waren weitere Zusatzmaterialien vorhanden, so z. B. eine künstlerische Umsetzung eines Anakreon-Gedichtes in einem antiken Mosaik, zwei Überblicksartikel zum Thema Symposion sowie verschiedene Beispiele für die literarische und auch musikalische Rezeption Anakreons in der Neuzeit bei Mörike, Goethe, Gleim und Eisler.
Trotz dieser exzellenten Materialausstattung und einer intensiven Einführung des Gruppenleiters war die Präsentation dieser Gruppe qualitativ sehr uneinheitlich: Neben einer eher konventionellen, fachlich und methodisch soliden Erklärung zweier Liebesgedichte Anakreons (22 Latacz, 15 Latacz), der lieblosen und fachlich anfechtbaren Vorstellung eines kurzen Trinkliedes (396 PMG) durch Schüler, die ihr Desinteresse am gesamten Seminar immer wieder deutlich zum Ausdruck brachten, beeindruckte die szenische Darstellung eines Symposions um so mehr: Nach einem inhaltlich sorgfältig durchgearbeiteten und methodisch ansprechend gestalteten Vortrags zur Geschichte des Symposions wurde in entsprechender Kostümierung eine Symposionszene nachgespielt.
In diesem Zusammenhang wurden zwei Trinkgedichte Anakreons (18 Latacz, West, delectus, eleg. 2) gleichsam in ihrem ursprünglichen Rahmen in einem rhythmischen Gesang – unter aktiver Beteiligung des Publikums – griechisch vorgetragen. Positive Aufmerksamkeit verdiente sich die Präsentation dadurch, dass am Schluss ein musikalisches Rezeptionsdokument Hanns Eislers (‚Geselligkeit betreffend‘) der Anakreon-Elegie (West. Delectus, eleg. 2, s. Anhang) vorgestellt und im Hinblick auf die Umsetzung des Originals kritisch bewertet wurde. Den optischen Hintergrund der Veranstaltung bildete eine Powerpoint-Präsentation, auf der stets die wesentlichen Informationen geboten wurden. Außerdem geleitete ein Moderator die Zuschauer durch die verschiedenen Teile der über 60 Minuten dauernden Vorstellung.
II. 4 Solon-Gruppe
Die Aufgabe dieser Gruppe bestand darin, die Eunomia-Elegie zu bearbeiten. Dabei sollten sich die Schülerinnen und Schüler zunächst über die Zeit Solons, sein Leben und seine politischen/literarischen Leistungen informieren, die Elegie übersetzen bzw. die vorliegenden Übersetzungen kritisch prüfen und die Elegie unter verschiedenen Gesichtspunkten interpretieren: Gedankengang, Gliederung, Schlüsselbegriffe / Kernaussagen, stilistische Gestaltung, Zusammenhang von Form und Inhalt, Intention der Elegien bzw. Solons, Zusammenhang von Elegie und Politik unter Einbeziehung weiterer Gedichte Solons. Schließlich sollte eine kreative Umsetzung erfolgen. Als fakultativer Zusatz wurde der Vergleich mit anderen Texten (z. B. Ruck-Rede Roman Herzogs) angeboten.
Die Präsentation der Solon-Gruppe stellte nicht nur den Abschluss, sondern zugleich den Höhepunkt der Präsentationen dar. Nach einer Vorstellung Solons als historischer Persönlichkeit und seiner Leistungen wurde zunächst die sog. Eunomie-Elegie vorgetragen, übersetzt und kommentiert, in der Solon scharfe Kritik am selbstsüchtigen Verhalten seiner Mitbürger übt, die damit die Existenz der Polis aufs Spiel setzten. Im Anschluss daran wurde ein zusätzlicher Vortrag über die Musen-Elegie eingeschoben, die auf besonderen Wunsch eines einzelnen Schülers eingebunden wurde.
Im zweiten Hauptteil erfolgte dann die kreative Umsetzung der beiden Gedichte: Die Schüler stellten eine politische Versammlung nach, bei der eine Schülerin die Eunomie-Elegie in Form einer politischen Rede darbot. Vor dem Podium waren durch Schilder kenntlich gemachte ‚Pressevertreter' postiert, die durch Zwischenrufe, Beifalls- und Missfallensbekundungen die Zuschauer zum Mitmachen animierten. Danach wurde eine Pressekonferenz veranstaltet, bei der die Journalisten' Fragen an die Rednerin stellten, die mit ihren Antworten den Inhalt der Rede, d. h. des Solon-Gedichtes, zu erklären versuchte.
Die Pressekonferenz wurde an zwei Stellen unterbrochen, um den Zuhörern am Originaltext nachzuweisen, dass man sich den Inhalt von Rede und Pressekonferenz nicht ausgedacht habe. In dieser Zwischenphase wurde die Eunomie-Elegie einer intensiven Interpretation unterzogen. An einer OH-Folie wurden die entscheidenden Begriffe unterstrichen und den Zuschauern kenntlich gemacht. Im Anschluss daran initiierten die Schüler eine intensive Debatte zwischen der Gruppe und den Zuhörern. Ausgehend von der Frage, ob man sich eher um die öffentlichen Belange oder um seine privaten Angelegenheiten kümmern solle, wurde kontrovers über Sinn und Zweck politischen Engagements in unserer Gesellschaft diskutiert. Den Schluss der Präsentation bildete ein „Rap zur Lage der Nation“ ; durch diesen gereimten Sprechgesang sollte das Interesse der Zuschauer für die Leistung Solons geweckt werden, der in einer für die Moderne ungewöhnlichen Weise politische Fragen in dichterischer Form thematisiert.
IV. 3 Evaluation durch eine Schülerbefragung
Die Evaluation des Seminars erfolgte nicht nur durch Auswertung der Eindrücke des Lehrerteams, sondern auch durch eine anonyme Schülerbefragung. Hierfür wurde ein Bogen mit insgesamt 22 Fragen vorbereitet, der kurz vor Ende des Seminars an die Schüler verteilt wurde. Von 30 der 37 (81%) Schüler wurde der Bogen ausgefüllt zurückgegeben, so dass aus den Antworten repräsentative Schlüsse gezogen werden können. Die Antworten erforderten entweder ein Ankreuzen – hierfür sind sechs Felder vorgesehen, die nach Art der Schulnoten von 1 ( Sehr gut ) bis 6 ( Ungenügend ) gegliedert sind und eine entsprechende qualitative Bewertung erfordern – oder durch eigene Kurzerklärungen.
Grundsätzlich hatten die beteiligten Schüler ein positives Verhältnis zum Fach: 86% (26 Sch.) bewerteten die Frage Für wie wichtig halten Sie das Fach Griechisch? mit Note 1 bzw. 2 und signalisierten damit eine hohe Wertschätzung. So kann es nicht überraschen, dass die Thematik auf großes bis sehr großes Interesse stieß:
Auf die Frage War der Stoff für Sie interessant? antworteten 53% (16 Sch.) mit der Note 1 und 30% (9 Sch.) mit 2. Als besonders interessante Inhalte wurden i. d. R. die Themen aus der eigenen Arbeitsgruppe angegeben (z. B. die provokante Einstellung Archilochos gegenüber seinen Mitmenschen; Streitpunkte in Übersetzungen, Auswirkungen eines Gedichts bezüglich der späteren Meinung über den Künstler oder die lyrische Umsetzung politischer Inhalte). Weniger Interesse wurde bekundet, wenn das Thema Lyrik bereits im Unterricht behandelt worden war; dies war bei drei Schülerinnen der Fall. Ferner wurde der Arbeitsstil in den Gruppen kritisiert: Drei Schüler bemängelten penible Grundsatzdiskussionen und ein Steckenbleiben aufgrund von Einzelheiten. Allerdings kann man diese Hinweise auch positiv verstehen, zeigen sie doch, dass sehr intensiv gearbeitet wurde.
Die Frage nach dem interessantesten Arbeitsbereich (Textarbeit, Interpretation, kreative Umsetzung), bei der mehrere Antworten möglich waren, ergab folgendes Resultat: 45% der erfolgten Nennungen entfielen auf den Bereich der kreativen Umsetzung, gefolgt von der Textarbeit (29%) und der Interpretation (25%). Da das kreative Handeln im Zentrum des Projekts stand, zeigt der hohe Wert die Akzeptanz dieses Ansatzes. In den z. T. recht ausführlichen Antworten wurde immer wieder auf die gegebenen Möglichkeiten zur eigenständigen und kreativen Arbeit hingewiesen, es habe „ungewohnt viel Entfaltungsmöglichkeiten“ gegeben; an anderer Stelle heißt es: „Viele eigene Ideen sind denkbar und es macht Spaß die Inhalte in die Neuzeit zu übertragen! – Klasse.“ Außerdem habe es viel Spaß gemacht „mit den anderen zusammen zu arbeiten“. Die Interpretation habe zu „angeregten Diskussionen in der Gruppe“ geführt. Aber auch dezidierte Freunde des Übersetzens kann man ausmachen: „Übersetzen macht Spaß“. Ein Schüler hielt alle drei Bereiche für gleich bedeutsam; seine Begründung offenbart ein erstaunliches Reflexionsniveau: „Weil durch die angegebenen Blöcke ein Dreischritt entsteht, sind alle drei für mich wichtig. Textarbeit = Grundlage, Interpretation wiederum als Voraussetzung für die kreative Umsetzung. Die kreative Umsetzung ist als Transfer z. B. ins Heute zu verstehen, sehr wichtig für uns Jugendliche. Es kann damit die Frage beantwortet werden, inwieweit die Griechen noch heute aktuell sind.“
Hinweise auf fachliche Probleme blieben die Ausnahme. Ein Schüler, der die Textarbeit am interessantesten fand, begründete seine Entscheidung mit „wenig Interpretationserfahrung“; außerdem sei es schwierig, „für Griechisch eine kreative Umsetzung zu finden“, schließlich verweist er darauf, dass er in diesem Seminar die „erste ernste Erfahrung mit Originaltexten“ gemacht habe. Insgesamt stellten die meisten Teilnehmer einen sehr großen bis großen Wissenszuwachs fest (63%). Für einige Schüler ergab sich kein derartiger Gewinn: 10% vergaben die Schulnote 4 und sogar 13% die Note 5. Offensichtlich hatten diese Schüler zumindest Teile des Stoffes bereits im Unterricht kennengelernt.
Bei der Bewertung des Schwierigkeitsgrades der einzelnen Anforderungen ist die Einschätzung der Schüler einheitlich und deckt sich mit den Eindrücken des Lehrerteams:
- 63% (19 Sch.) stuften die Verständlichkeit der Aufgabenstellungen mit gut oder sehr gut ein, 16% (5 Sch.) mit befriedigend.
- Der Schwierigkeitsgrad der griechischen Texte wurde von 66% der Teilnehmer (20 Sch.) ebenfalls als gut bis sehr gut, d. h. als nicht zu anspruchsvoll, bewertet. 23% (7 Sch.) gaben die Note Befriedigend.
- Das Anspruchsniveau der Interpretationsaufgaben wurde ähnlich positiv eingestuft: 60% (18 Sch.) entschieden sich für gut bis sehr gut, 23% (7 Sch.) für befriedigend.
- 70% (21 Sch.) stuften den Schwierigkeitsgrad der kreativen Textbearbeitung ebenfalls mit gut bis sehr gut ein, 20% (6 Sch.) erteilten ein Befriedigend.
Insgesamt trat die befürchtete Überforderung der Schüler nicht ein; man kann sogar den Eindruck bekommen, dass bei Textarbeit, Interpretation und Kreativität das Anspruchsniveau noch höher hätte angesiedelt werden können. Insgesamt kann man nach den Eindrücken des Lehrerteams jedoch nicht davon ausgehen, dass eine Unterforderung vorlag.
Ein differenzierteres Bild ergab die Frage nach dem Klima in der eigenen Arbeitsgruppe, da sich hier die oben schon angesprochenen Konflikte widerspiegeln: Während 70% (21 Sch.) das Klima mit sehr gut und gut einstuften, bewerteten es 23% (6 Sch.) mit mangelhaft und ungenügend. Ein einheitlicheres Bild ergibt sich bei der Frage nach dem Arbeitsklima in der gesamten Teilnehmerschaft: 53% (16 Sch.) wählten die Note Gut und 26% (8 Sch.) Befriedigend. Allerdings ist auffallend, dass die beste Bewertung nicht vorgenommen wurde; dies kann man als deutlichen Hinweis darauf werten, dass für die Kommunikation in der Gesamtgruppe durchaus Verbesserungen denkbar wären.
Sehr positive Einschätzungen wurden bei Fragen gegeben, die den unmittelbaren Arbeitsablauf betreffen. Sie unterstreichen den Erfolg der Projektarbeit und die positive Zusammenarbeit von Schülern und Lehrerteam.
- „Konnten Sie selbstständig arbeiten?“: 63% (19 Sch.) antworteten mit einem sehr gut, 33% (10 Sch.) mit gut.
- Die Schüler waren offenbar davon überzeugt, dass das Lehrerteam angemessen vorbereitet war: 93% vergaben die Noten Sehr gut und Gut. Allein 63% (19 Sch.) wählten die beste Note.
- 90% (27 Sch.) hatten das Gefühl, dass ihnen die Lehrer in sehr guter oder guter Weise Hilfestellungen geben konnten. 50% (15 Sch.) kreuzten die Note 1 an.
- Auch die bereitgestellten Arbeitsmittel wurden sehr positiv eingeschätzt: 96% (29 Sch.) entschieden sich für ein sehr gut und gut. 63% (19 Sch.) wählten die Note 1.
Als besonders intensiv genutzte Hilfsmittel wurden die bereitgestellte Literatur (insbesondere Lexika, Textausgaben und Sekundärliteratur), vom Lehrerteam erstelltes Begleitmaterial sowie der Computer angeführt. Dieses Ergebnis zeigt deutlich, wie sinnvoll und notwendig eine vor Ort einsetzbare Handbibliothek ist. Diese Ressourcen haben ganz erheblich zum Erfolg der Veranstaltung beigetragen, da sie die selbstständige Arbeit der Schüler förderten und den Lehrern ermöglichten, sich auf Beraterfunktionen zu beschränken.
Das bisher ausgesprochen positive Bild wird durch die abschließend erbetenen Gesamteinschätzungen noch erhärtet: Die Teilnehmer bewerteten die Organisation sehr positiv: 66% (20 Sch.) stimmten mit sehr gut , 26% (8 Sch.) mit gut; ebenso positiv wurde die Unterkunft eingestuft, nämlich von 70% (21 Sch.) mit sehr gut , von 26% (8 Sch.) mit gut. Die gesamte Atmosphäre wurde von 33% (10 Sch.) als sehr gut bzw. von 46% (14 Sch.) als gut eingeschätzt.
Ebenfalls aufschlussreich sind die Angaben zu den beiden letzten Fragen, was bei einem künftigen Seminar beibehalten bzw. geändert werden sollte:
- Mehrere Schüler plädierten nicht nur für eine Fortführung des Seminars, sondern auch für eine zeitliche Ausdehnung.
- Ebenfalls sollte wieder darauf geachtet werden, dass mehrere Bundesländer am Seminar beteiligt sind.
- Ferner sollte ein künftiges Lehrerteam ebenso fachkundig und hilfsbereit sein.
- Mehrere Teilnehmer plädierten dafür, dass der kreative Arbeitsschwerpunkt und die Vielfalt der Themen erhalten bleiben solle, ebenso die hervorragende Unterkunft und die reibungslose Organisation. Zwei Schüler beschränkten sich auf kurze, aber um so positivere Antworten: „Es war cool!!“ und „Es soll so bleiben, wie es dieses Mal organisiert wurde, dann ist es sehr gut.“
Zahlreiche Bemerkungen weisen aber auch auf Modifikationsbedarf hin: Es werden kleinere Arbeitsgruppen von 5-8 Schülern angemahnt, ferner keine freie Gruppenwahl, sondern eine Bestimmung der Gruppen, „damit man gezwungen ist, sich auf neue Personen einzustellen“, und eine „Klüngelbildung“ einander schon bekannter Teilnehmer verhindert wird. Hierbei handelt es sich wohl um deutliche Reaktionen auf die oben schon angesprochenen Probleme in zwei Gruppen. Des Weiteren wurde mehrfach vorgeschlagen, den Kontakt auch außerhalb der Gruppen zu verbessern. Eine Schülerin äußerte sich sehr pessimistisch: „Das Verhältnis zwischen allen Teilnehmern war nicht so gut bzw. überhaupt nicht vorhanden, da man keine Zeit hatte, sich kennen zu lernen.“ Da das Arbeitsprogramm insgesamt sehr dicht war, kann es nicht verwundern, dass zahlreiche Schüler mehr Freizeit zur Verfügung haben möchten. Außerdem wurde um eine schnellere Computertechnik gebeten, einzelne Schüler mahnten genauere Aufgabenstellungen, eine Kürzung der Vortragszeit, eine andere jahreszeitliche Terminierung des Seminars sowie mehr Diskussion bei den Präsentationen an.
Das Schülerseminar in Leipzig darf aus vielerlei Gründen als voller Erfolg gewertet werden: Die Konzeption hat sich in der Praxis bewährt, die Zielsetzungen wurden fast vollständig umgesetzt. Modifikationen scheinen angebracht, um die Kommunikation über die Gruppen hinweg zu verbessern und die Zusammensetzung der Gruppen zu optimieren. Außerdem sollte geprüft werden, inwieweit die Veranstaltung zu einer anderen Jahreszeit durchgeführt werden könnte. Insgesamt stellt die Veranstaltung nicht nur im Bereich der Alten Sprachen, sondern auch in der gesamten Bildungslandschaft ein überaus positives Modell dar: Vorbildlich war nicht nur in der Planungsphase die Zusammenarbeit zwischen Bildungsverwaltung, Schule und Hochschule, sondern auch bei der Durchführung wurden Schülern und Lehrern optimale Bedingungen für die gemeinsame pädagogische und fachliche Arbeit geboten, was zu entsprechend überzeugenden Arbeitsergebnissen führte. Im Einklang mit den überaus positiven Bewertungen der beteiligten Schülerinnen und Schüler plädieren daher der Berichterstatter und das gesamte Lehrerteam für eine Fortführung dieses Projekts, mit dessen Einrichtung sich der Freistaat Sachsen nachhaltige Verdienste um die Förderung sprachlich interessierter Schülerinnen und Schüler erworben hat.
Dr. Stefan Kipf
Freie Universität Berlin
Institut für Griechische und Lateinische Philologie
Didaktik der Alten Sprachen
Habelschwerdter Allee 45
14195 Berlin
kipf@zedat.fu-berlin.de